Stadtwanderung: Saporischschja

Ein bedeutender ukrainischer Erinnerungsort: Die Kosakeninsel Chortyzja

Meine Reise nach Saporischschja (ich folge hier der Schreibweise der deutschen Wikipedia) begann mit einem Sonderangebot: Ukraine International bot ein Ticket für 27 Euro an, ein kurzer Flug von Kiew nach Südosten. So kam es, dass ich eines Nachmittags im Juni 2015 tatsächlich in dieser Industriestadt am Unterlauf des Dnipro landete. Eine hier im Fluss gelegene Insel bildet so etwas wie das Herzstück der ukrainischen Nationalmythologie: Auf Chortyzja gab es im 17. Jahrhundert ein Gemeinwesen von Kosaken, aus dem sich identitätspolitisch eine Menge ableiten lässt, wenn man nach Differenzmotiven zu Polen und Russland sucht. Diesen Erinnerungsort wollte ich sehen.

Der Flughafen von Saporischschja (hier der Landeanflug) ist völlig aus der Zeit gefallen, zudem regnete es bei der Ankunft. Ich nahm ein Taxi zu meinem Hotel in der Nähe des Lenin Prospekts, und brach noch am frühen Abend spontan zu dem ersten Teil meiner Stadtwanderung auf. Ich war nicht besonders vorbereitet, eigentlich war mein einziges Hilfsmittel die ukrainische SIM-Karte, die es mir ermöglichte, eine digitale Landkarte mit Navigationsfunktion zu verwenden. 30 bis 45 Minuten sollten es zu Fuß bis zu der Kosakeninsel sein. Ich machte mich auf den Weg.

Was in Saporischschja zuerst auffällt, ist der Strom. Das bedeutende Wasserkraftwerk bringt es mit sich, dass Elektrizitätsleitungen in alle Himmelsrichtungen mitten durch die Stadt laufen. Sie überragen auch die religiöse Skulptur, die wohl erst nach 1990 hier zu stehen kam, und die noch immer bescheiden wirkt angesichts des technokratischen Monumentalismus, den man in Saporischschja an vielen Stellen noch sieht. Ich ging den Lenin Prospekt nach Norden, suchte die Querstraße, die mich zu der Dnepr-Brücke führen sollte. Das Navigationssystem brauchte ich noch nicht.

Ein Soldat bewacht die Brücke, auf der ich mich dann ziemlich vorsichtig bewegte. Nicht, weil ich fürchtete, sie könnte einstürzen. Aber das Geländer sah ziemlich baufällig aus und hatte viele Lücken, ich bekam ein wenig Höhenangst, denn es ging weit hinunter. Einige hundert Meter südlich standen die Strukturen einer neuen Brücke, an der seit 2004 gearbeitet wird. Die Kosten sind explodiert, nach einer absehbaren Fertigstellung sieht es nicht aus.

Als ich die Insel erreichte, begann der eigentliche Teil der Suche. Ich wollte zu dem Kosakendorf, verließ mich dabei allerdings dummerweise auf Google Maps. Die Karte war akkurat, nur die Beschriftung war missverständlich. Die Insel ist relativ menschenleer, gelegentlich traf ich einen Läufer oder Spaziergänger, sprach aber niemand an. Ich folgte einfach dem Weg, den das System mir vorgab.

Das führte mich schließlich zu einem Punkt, an dem eigentlich eine Bahnstation hätte sein sollen. Es gab dort aber gar nichts, abgesehen von gelegentlich ein paar Häusern mit Garten. Irgendwo musste hier ein Bahnhof sein.

Mir blieb nichts anderes übrig, als die Expedition abzubrechen, denn es begann schon dunkel zu werden. Die Bahngleise zu überqueren, war nicht gefährlich, schwieriger wurde es auf der Ausfallstraße, die dahinter kam. Schließlich hatte ich aber die Seite mit einem Fußgängerpfad erreicht, und machte mich auf den Rückweg. Hier traf ich auch Menschen an, zum Beispiel eine Himbeerverkäuferin, die einen Spalt in einer Lärmschutzwand geöffnet hatte und auf Kundschaft wartete - angesichts des Tempos der Autos an dieser Stelle ein wenig aussichtsreiches Projekts. Ein paar hundert Meter weiter gab es dann einen kleinen, informellen Markt.

Mit einem der Kleinbusse, die in der Ukraine das wichtigste Nahverkehrsmittel bilden, fuhr ich schließlich zurück in die Stadt. Am nördlichen Ende des Lenin Prospekts ging gerade die Sonne unter. In dieser Richtung wollte ich am nächsten Tag meine Expedition noch einmal von vorne beginnen, dieses Mal besser vorbereitet.

Am nächsten Tag war es strahlend schön. Der zweite Teil meiner Wanderung begann damit, dass ich den Lenin Prospekt bis zu einem Anfang zurückverfolgte. Die noch aus der Sowjetunion überkommene Statue weist mit der rechten Hand schon hinüber zum Staudamm, dem zweiten Wahrzeichen von Saporischschja. Das DneproGES wurde 1932 in Betrieb genommen, stammt also aus der heroischen Phase der Sowjetunion.

1941 sprengten Soldaten der Roten Armee auf dem Rückzug die Staumauer, die dann von den Deutschen wieder instandgesetzt wurde. Die Plakette mit der Jahreszahl 1943 verweist darauf.

Ich nahm mit dem Gang über die Staumauer einen weitem Umweg zur Insel Chortyzja, die ich an diesem Tag von Norden her erreichte. Dabei ergab sich dieser tolle Blick zurück auf das Kraftwerk.

Und nun war es mir auch ein Leichtes, das Kosakendorf zu finden. Am Tag davor hatte ich mich an der einen Stelle, an der die Brücke die Insel erreicht, in die falsche Richtung gewandt.

Meine Besichtung der Sehenswürdigkeiten endete in der Mittagshitze. Den ganzen Weg zurück in die Stadt auch noch zu Fuß zu machen, wäre mir dann doch zu viel gewesen, sodass ich den Verkäufer an einem Imbissstand bat, mir ein Taxi zu rufen. Der Fahrer setzte mich dann im Stadtzentrum ausgerechnet an einem Platz ab, auf dem sich noch ein Denkmal für Felix Dsershinski befindet, den Begründer des sowjetischen Geheimdiensts, aus dem später das KGB wurde. In den meisten Städten der Ukraine, jedenfalls im westlichen Teil, wäre diese Statue längst entfernt worden. In Saporischschja bleibt sie stehen.

Ich blieb noch diesen einen Tag und die Nacht in der Stadt, am nächsten Morgen machte ich mich auf den Weg zum Bahnhof.

Von Saporischschja aus fährt ein Schnellzug nach Kiev, via Dnipropetrovsk. Die Fahrzeit betrug sieben Stunden, das Fahrgefühl entspricht ungefähr einem Intercity oder Eurocity. Den Geist der Saporoger Sitsch habe ich nicht verspürt, aber wenn ich nun darüber lese, fühlt es sich anders an. Und das ist ja im Wesentlichen der Sinn von solchen Ortsbesichtigungen.

 

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