Filme und Folgen (81)
Notizen: Mai 2025
Struga - Bilder einer Landschaft Konrad Hermann DDR 1972
Eine Landschaft im Osten Deutschlands. Die Stimme aus dem Off macht in DDR-Sprech: „Wir gehen gründlich vor beim Verlegen der Dörfer ... Kein Vineta findet sich im Grubensee.“ Struga versucht, sich im Rahmen der konsequenten Linearität des kommunistischen Fortschrittskonzepts ein Bild von den Sorben zu machen, einer Volksgruppe, die älter ist als die Christianisierung. Die Konstellation ist vergleichbar mit Dowschenko oder Fedortschenko: was kann lokale (indigene) Kultur beitragen zu einer Geschichte, die ihre Kriterien vom heroischen Arbeitsethos und vom industriellen Umwälzen der Naturgrundlagen nimmt? Konrad Herrmann filmt Frauen, die in merkwürdig abstrakt wirkenden weißen (Trauer-)Trachten durch die Gegend gehen, es gibt auch eine Gauklergruppe, die an die Canterbury-Pilger erinnert, und eine Beat-Band, die zwei Sängerinnen hat, die auf Sorbisch singen. Die Kultur der Sorben ist nicht nur anachronistisch. Das Schlussbild ist mächtig, vielleicht einer der härtesten Schwenks überhaupt: die Kamera folgt den Gauklern (einer Spielgruppe, die Brauchtum aufführt), wie sie einen Feldweg entlang geht, von hinten, dann wendet sie sich nach rechts, und was eben noch eine bukolische Szene war, ist nun Energiemonumentalismus: Stromleitungen und Schornsteine. (Kurzfilmtage Oberhausen)
Für Frauen. 1. Kapitel Cristina Perincioli BRD 1971
Vier Frauen arbeiten in einem kleinen Supermarkt für einen Chef. Zu Beginn sieht man sie morgens aus dem Haus treten, bald beginnt ihre Arbeitszeit. Sie räumen Ware in die Regale, sitzen an der Kasse. Viele Kisten sind zu heben. Sie unterhalten sich über ihren Alltag, die eine hat drei Kinder, und ist alleinerziehend, eine andere soll nicht mehr arbeiten, weil ihr Mann abends das Essen pünktlich auf dem Tisch haben möchte. Sie ist auch diejenige, die ein wenig mit dem Massengeschmack liebäugelt, ihr Schönheitsideal ist das aus Illustrierten. Der Chef ist gerade im Begriff, einen zweiten Markt an einem anderem Ort in der Stadt zu eröffnen, deswegen befördert er heimlich den männlichen Mitarbeiter, der 100 Mark mehr verdient als die Frauen, obwohl er an der Kasse viel langsamer ist. Die Frauen verschaffen sich Einblick in das Lohnbuch, und wollen die ungleiche Entlohnung nicht mehr hinnehmen. Sie stellen den Chef, verlassen den Laden, ein spontaner Streik. Er wird wohl verhandeln müssen. Die Geschichte wurde mit den beteiligten Frauen erarbeitet, sie „spielen“ mehr oder weniger sich selber, in einer Dramaturgie, die auf Ermächtigung setzt. Unter den Beteiligten und anfangs einmal auch kurz im Bild: Skip (Norman) aus dem ersten Jahrgang der DFFB. (Kurzfilmtage)
Helfen können wir uns nur selbst Gardi Deppe BRD 1974
Schon 1974 war Deutschland in Teilen eine erschöpfte Gesellschaft, wie aus diesem Dokumentarfilm über ein Jugendsanatorium hervorgeht, in dem junge Frauen im Alter von 15 bis 21 Jahren zur Kur sind. Sie haben alle Schaden genommen in einem Arbeitsleben, das in den ersten Bildern mit ungeheuer flink (im Akkord) tippenden Datenverarbeiterinnen an der Schwelle zum elektronischen Zeitalter eingeordnet wird: was früher 55 Frauen gemacht haben, müssen nun 17 schaffen. Im Sanatorium lernen die Frauen, mit dem Stress umzugehen – die Ärzte sind alle männlich und haben diesen typischen Expertengestus, der auch gleich nervös macht. Interviewszenen sind wesentlicher Bestandteil des Films: wir erfahren von Sehnenscheidenentzündungen und anderen Problemen, ein Arzt spricht, ohne den Begriff, zu verwenden, von Psychosomatiken. In einem Rollenspiel wird die Konstellation mit Schautafeln konkret gemacht: die Arbeiterinnen stehen unter dem Diktat der Uhr und von Börsenberichten, zwei Instanzen, von denen der Chef nur eine Ableitung ist. „Mein Magengeschwür ist der Sportwagen Ihrer Frau“, wird ein Zusammenhang hergestellt. Das erinnert an Cristina Perinciolis Diktum „Die Macht der Männer ist die Geduld der Frauen“. Gardi Deppe zeigt zugleich, wie diese Geduld gesundheitssystemisch bestärkt wird und potentiell doch reißen könnte, wenn die Frauen mehr miteinander sprechen und auftreten würden. (Kurzfilmtage)
Maulwürfe der Revolution Horst Schwaab BRD 1969
Ein Student der Betriebswirtschaft (aus bürgerlichem Haus) und eine Arbeiterin bilden das Paar, das demonstrieren (helfen) soll, wie sich der Widerspruch oder Gegensatz zwischen Kapital und Arbeit überwinden lassen soll. Die Erfahrungen der beiden werden mit Kapitelüberschriften oder Stichworten wie Emanzipation eingeführt. Ein Traumpaar der Revolution sind sie nicht, das geht aus ironischen Passagen hervor, die metonymisch mit Füßen, die aus Bettwäsche ragen, deutlich machen, dass es nicht zu einem innigen Liebesakt, sondern nur zu (das kommt von einer Stimme aus dem Off) beischlafähnlichem Verhalten kommt. Am nächsten Morgen wacht der Mann auf, und beginnt, aus marxistischen Schriften zu zitieren. Die Frau zieht sich an. Entstanden ist Maulwürfe der Revolution aus einer Zusammenarbeit von Filmstudenten (Skip Norman von der DFFB war dabei) mit einer Schülerzeitung. Zentrale Frage ist, ob der revolutionären Avantgarde eine Massenbewegung folgen könnte. Basisgruppen sollen dafür sorgen, es scheinen aber auch Zweifel an der Unbestreitbarkeit der Theorie zu herrschen. (Kurzfilmtage)
Von der Revolte zur Revolution oder: Warum die Revolution erst morgen stattfindet Kurt Rosenthal BRD 1969
Bilder von Demonstrationen gegen Springer lassen darüber nachdenken, ob die Berliner Studentenbewegung sich nicht mit dem Kampf gegen einen sicher empörenden, aber doch auch ablenkenden Gegner aufhielt – so wie heute progressive Gruppen manchmal lieber die AfD bekämpfen (was sicher wichtig ist), als tragfähige Mehrheiten für eine im Rahmen des staatsfinanziell Auskömmlichen erst zu findende linke Politik zu suchen. Spannend sind die Redebeiträge von Jürgen Krahl oder Wolfgang Abendroth: anspruchsvolle Diskurse zur Legitimierung einer Gewalt, die sich als Antwort auf einen gewalttätigen Staat versteht.
Twin Peaks David Lynch & Mark Frost 1990 - 2017
Als 2017 die dritte Staffel von Twin Peaks herauskam, habe ich aus heute nicht mehr nachvollziehbaren Gründen die 18. Folge nicht geschaut. Außerdem hatte ich die erste und zweite Staffel nicht präsent, die ich nur „damals“ geschaut hatte, und vielleicht auch nicht alles. Wie auch immer, jetzt habe ich alles noch einmal im Zusammenhang geschaut, und damit erstmals halbwegs „richtig“, wenngleich mir auch so sicher noch jede Menge entgangen ist. Die zweite Staffel ist durchaus eine Zumutung in ihrer willkürlichen Anlagerung teils abstrusester Nebenhandlungen, die dritte aber ist sehr gut – was für eine Chance auch, ein fiktionales Universum, in dem vor 25 Jahren so viel festlegt wurde, noch einmal zu betreten, um daran anzuschließen, mit einem enormen Ensemble, das nun auch 25 Jahre älter ist (was sich zum Teil radikal bemerkbar macht, am meisten vielleicht bei Grace Zabriskie)! Über die Räumlichkeit von Lynchs Annäherung an Schicksalsverknotungen, Paralleluniversen und zum Ende hin sogar noch die angedeutete Möglichkeit einer Korrektur des Hauptereignisses (des Todes von Laura Palmer) ist genug geschrieben worden.
Mich interessiert das Verhältnis von Dale Cooper und Dougie Jones, das in einschlägigen Wikis detailliert rekonstruiert wird, aber eine grundsätzliche Frage hinterlässt: wenn Janey-E und Sonny Jim (und in einem Moment sogar Coop) ihre Familie als „home“ erleben, wo sie doch, wenn ich richtig verstehe, väterlicherseits ein doppelt gekapertes, sehr nicht identisches Subjekt enthält, was bedeutet das für die Frage nach der richtigen Welt insgesamt? Skeptisch lässt uns da ja auch die großartige letzte Folge zurück, in der Coop nach Odessa, Texas, kommt, wo eine Frau lebt, die vielleicht Laura Palmer ist, die überlebt hätte, weil Cooper sie 1989 aus dem Wald, in dem sie sterben sollte, herausführt – er verliert sie aber unterwegs, nachts an seiner Orpheus-Hand, nach einem elektrischen Knistern. Nun steht er vor der Tür eines Hauses, geöffnet wird ihm von Sheryl Lee, der Schauspielerin (nun über fünfzig Jahre alt). Er fährt mit ihr nach Twin Peaks, die lange, nächtliche Autofahrt ist absolut großartig, denn sie führt durch einen Raum, der kaum noch Kontakt zum bekannten Universum der Serie hat. Und das Twin Peaks, in dem sie ankommen, hat mit dem geläufigen nichts zu tun.
Man muss schon davon ausgehen, dass die gut 50 Stunden der Serie in einer radikalen, bleaken Sackgasse, in einem hoffnungslos zufälligen Nebenstrang aller Szenarien von vielfachen Welten endet, als ein Wort („Laura“) und ein Schrei doch noch einmal die Membran zu anderen Möglichkeiten öffnet. Das ist, als Ende, fast noch besser als das der Sopranos, und in seiner abgrundtiefen Negativität (Multiversen sind ja fast immer auf Korrekturszenarien angelegt) so erhaben, dass selbst die verzweifelte Öffnung in letzter Sekunde den Eindruck nicht schmälert. Ich werde jetzt doch alles an Exegese und Interpretation lesen müssen, was ich in die Finger bekomme. (Ab 13. Juni auf MUBI)
Inside CDU 5 Folgen Steffen Haug und Denise Jacobs BRD 2025
Einblicke in das Innenleben der CDU im Wahlkampf 2024/25 bis zu dem Moment, wo Merz und Söder in der Zentrale vor einem Fernsehschirm sitzen und mitkriegen, dass das gemeinsame Ergebnis doch sehr zu wünschen übrig lässt – selbst da ist die Kamera dabei. Interessant sind aber nicht so sehr diese Blicke hinter die Kulissen (sehr viel ist nicht dahinter, außer dass man ein paar Making ofs von Social-Media-Post bekommt). Interessant sind die verteilten Rollen, es geht (mit Protagonistinnen aus den Ländern) und das Prinzip Volkspartei oder die Reste davon. Als Haupteindruck bleibt, dass eine Partei panisch alles Urbane vermeidet, um sich in einem ländlichen Deutschland, bei dem auch das ZDF komplett das Klischee für die Wirklichkeit nimmt, an Reste von Identität zu klammern. Das könnte man vielleicht auch anders haben, mit vorurteilslosem Interesse für den Alltag, aber das wird von Söders Bratwurstdogmatik überformt. Ich kann mir nicht helfen, aber ich sehe in dem Provinzialismus, den die CDU nicht nur im Wahlkampf kultiviert, und mit dem sie den Nationalismus der AfD volksfestlich und blasmusikalisch einzuhegen versucht, ein zentrales Problem der Republik. Denn Deutschland hat in vielen Dingen einfach keine Ahnung, was in der Welt passiert. Merz will die Wirtschaft durch Befreiung von Abgaben in Schwung bringen, fragt aber in keiner Sekunde, ob sich vielleicht an den Märkten, in die man so lange so fröhlich exportiert hat (und die ja schon damals als „emerging“ galten!), etwas verändert hat. Ob die Türkei, Brasilien oder natürlich China nicht längst fast alles, was Deutschland ein paar Jahrzehnte in normativer Miele-Qualität lieferte, selbst herstellen können und damit ebenfalls auf den Weltmarkt drängen. Es bräuchte eine Diskussion, was Deutschland in und mit Europa auf diesem Planeten sein muss. Davon hört man in Inside CDU nichts, von den anderen Parteien aber auch wenig. (ZDF Mediathek)
Zero Day Netflix 6 Folgen Eric Newman Noah D. Oppenheim USA 2025
Die USA erleben einen Cyberangriff, dessen Bilanz an Todesopfern deutlich an 9/11 erinnert. Russland liegt als Urheber nahe, war es aber nicht. Im Zentrum steht eine Commission, die ermitteln soll, und zwar unter äußerstem Druck, weswegen sie eine Integrationsfigur als Vorsitzenden braucht, der die Gratwanderung am Rande der Verfassung auf Kurs halten soll: Robert De Niro spielt den Ex-Präsidenten George Mullen, Angela Bassett wie auch in Mission: Impossible die acting Präsidentin. Bald wird deutlich, dass es eher um den politischen Alltag der heillos agitierten USA geht, die Konspiration kommt aus der Tech-Szene (Gaby Hoffmann in einer kaum entwickelten Nebenrolle als female Zuckermusk). Ich habe mir die ganze Zeit Formatfragen gestellt: Im Kern ist das ja eine spannende Geschichte, aber ist das mit den sechs Folgen und der doch starken Konzentration auf den Star Robert De Niro nicht doch ein Sparprogramm von einem Thriller? Und ist die Lösung, die alles innerhalb des etablierten Figurenpersonals hält, nicht auch eine Allegorie dafür, dass Netflix den Gürtel enger schnallen will? Natürlich macht die Lösung schließlich auch Sinn: gefährlich sind die USA vor allem für sich selbst. Skandalös ist der Umstand, dass Mullen zwischendurch auch enhanced interrogations (also Folter) anordnet (quasi auf dem Tiefpunkt der allgemeinen Konfusion), dass davon aber später kein einziges Mal noch die Rede ist.
Code der Angst Apollain Siewe Deutschland 2024
Mehrere grausame Gewaltverbrechen gegen Homosexuelle in Kamerun nimmt der in Berlin lebende Apollain Siewe zum Ausgangspunkt einer Recherche über die extreme Homophobie in seinem Herkunftsland. Er spricht mit Aktivisten und Engagierten, mit Betroffenen, ein Gespräch mit seinem Vater kommt nicht zustande, der entzieht sich, aus Wut und Scham, müssen wir annehmen. Ein Onkel taucht kurz auf, er fordert Siewe zu einem Tieropfer auf, zwecks Ahnenkontakt (der schafft es nicht, dem Huhn den Hals durchzuschneiden). Kamerun war von 1884 bis 1918 deutsche Kolonie, und Deutschland hat, das wird im Verlauf des Films immer deutlicher herausgestellt, die Diskriminierung der Homosexualität erst etabliert – ein Exkurs über das Volk der Bafia enthält zahlreiche Details über einen anderen Stellenwert in einer Zeit, als „Krieger mit Kriegern“ verkehrten, und Frauen ihre „Säfte“ aneinander weitergaben, um Fruchtbarkeit zu verstärken. Heute steht Homophobie für Autochthonie, und wer sich dagegen engagiert, vertritt westliche Werte. Siewes Hauptzeuge stirbt kurz nach Ende der Dreharbeiten (Gehirnblutung durch zu viel Belastung, vermutet der Filmemacher). „Ich weiß, dass ich durch diesen Film meine Beziehung zu den Eltern und zu meinem Land aufs Spiel setze“, lautet der letzte Satz. Code der Angst macht deutlich, wie Haltungen, die für natürlich und evident gehalten werden, gelernt wurden – das Umlernen steht vor dem großen Hindernis, dass die „natürliche Geschlechterordnung“ postkolonial geframet ist, und dass wohl auch die autokratische Politik in Kamerun (die Siewe nicht anspricht) den Heterotraditionalismus und Macho-Maskulinismus für sich reklamiert.
Bratan Bachtijar Chudojnasarow UdSSR (Tadschikistan) 1991
Zwei Brüder leben irgendwo im taschikischen Hinterland: Faruh und der kleine Asamat, gerufen „Pfannkuchen“. Der Vater ist weit weg in der Stadt, für die Jungen bleibt in dieser unklaren Zeit (existiert die Sowjetunion noch? unabhängig wurde Tadschikistan im September 1991) nur ein Leben als Vitelloni. Da sie Nabi kennen, der in der offenen Lokomotive eines Güterzugs in die Stadt das Sagen hat, fahren sie einfach mit. Auf der Fahrt gibt es kleine, beiläufige Abenteuer, auch eine erste Ahnung von Sexualität (ein verbotener Blick auf eine Frau durch einen Spalt in einer Waggonwand), schließlich kommen sie zum Vater, der eine seltsame Figur zu sein scheint: halb Arzt, halb Anthropologe, halb Kakteenzüchter. Alles ist uneindeutig, so auch so Beziehung zu „Tante“ Nelly. An einer Stelle liegen der Vater und die beiden Söhne bäuchlings in einer Salzwasserlake, die wohl Heilkräfte haben soll – ein sprechendes Bild, sie sind irgendwie lächerlich, aber auch den Elementen hingegeben. Unvergesslich die Szene, in der eine junge Frau, die eine Strecke im Zug mitgefahren war, aussteigt und über die staubigen Schienen auf sowjetmodischen Schuhen davonstapft, man sieht sie danach noch (vom Zug aus) in einer mächtigen Totale, ein Motorrad kommt, sie steigt auf, für eine Sekunde fürchtet man, das Bild könnte missglücken, wenn der Zug zu schnell fährt und die Kamera sie deswegen verliert, aber es klappt, das Motorrad bleibt im Bildrahmen, der Zug fährt weiter, und die namenlose junge Frau fährt in einer kleinen Staubwolke, die ich mir jetzt vielleicht schon dazu imaginiere, davon – hinaus aus der Geschichte, sie wurde vermutlich, im Kino jedenfalls, nie mehr gesehen. Bratan sammelt beiläufige Episoden in einer großartigen Landschaft in einem Schwarzweiß, das leicht ins Sepia (oder, wie Le Monde schrieb, ins Sfumato) tendiert. Schöner bekommt man diesen Zustand zwischen Freiheit und Verlorenheit selten getroffen. (Dank an Veit Helmer)
1948: Remember, Remember Not Neta Shoshani Israel 2023
Eine Auftragsarbeit des israelischen Staatsfernsehens, eine repräsentative Darstellung des Jahres 1948, erstellt aus Filmmaterial der Zeit und aus Zeugnistexten von beiden Seiten. Die Regisseurin, Jahrgang 1980, hatte sich durch einen früheren Film über ein Massaker in Deir Yassin für die Aufgabe empfohlen. Der erste Teil Remember gibt eine Chronik des Jahres 1948 mit der Anmutung der Un- oder Überparteilichkeit, es sind Stimmen von beiden Seiten vertreten, auch die Diagramme mit den Opferzahlen suggerieren Gleichrangigkeit, man spürt die Bedrängnis auf beiden Seiten („wir sind doch so wenige“, sagt einmal eine jüdische Stimme). Animierte Landkarten machen die Vorgänge deutlich. In dem Maß, in dem das Jahr 1948 vorangeht, gewinnt Israel an Momentum im Krieg, was im zweiten Teil zunehmend in den Mittelpunkt rückt. Denn der heißt Not Remembering, und greift eine jahrelange Auseinandersetzung der Regisseurin mit den israelischen Behörden auf einer allgemeinere Ebene wieder auf: Es geht darum, ob sie und ob die Zivilgesellschaft Zugang zu Dokumenten bekommen soll, in denen damals aufgeschrieben wurde, welche „irregular acts“ bei den Eroberungen jenseits der ursprünglichen UN-Linie begangen wurden.
Dieses gesperrte Sapina File ist der geschichtspolitische Anker des Films in der Gegenwart, es soll Kriegsverbrechen vor allem in Galiläa belegen. Neta Shoshani filmt Interviews mit Leuten von der Behörde, die erläutern, waum sie eine Veröffentlichung für unangebracht halten. Auch Benny Morris wird befragt, er ist die naheliegende Instanz nach seinem Standardwerk über das Palestinian Refugee Problem. In einem Nebenstrang sind auch immer wieder Vertreter der IDF zu sehen, die heute noch damit beschäftigt sind, forensisch die Erde an bestimmten Punkten zu durchsuchen, wo noch Spuren jüdischer Opfer von damals zu finden sein könnten, die dann ein jüdische Begräbnis bekommen sollten – die IDF lassen niemand verloren gehen. Die Suchtrupps geraten dabei auch mit palästinensischen Menschen in Kontakt, die auf das Land eigene Ansprüche erheben – die Szenen enthalten keine Gewalt, enthalten aber eine Analogie zu Vorgängen und Szenen in No Other Land oder in Route 181. So weit ich sehen kann, wurde 1948 fertiggestellt, aber nach dem Simchat-Tora-Massaker nicht ausgestrahlt. ARD oder ZDF sollten ihn zeigen. (Jüdisches Film Festival Berlin Brandenburg)
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