Sonnenkino
Notizen von einem Besuch bei Clemens von Wedemeyers Sun Cinema in Mardin in der südöstlichen Türkei im Juni 2015
Das Sun Cinema von Clemens von Wedemeyer ist für mich eine moderne Pilgerstätte. Ein Freiluftkino am Südabhang der Stadt Mardin, ein Kunstwerk im öffentlichen Raum, das die Halbwertszeit von Biennalekunst weit überschreitet. Es wird selten bespielt, ist aber auch als Objekt einen Besuch wert, schon allein seiner einzigartigen Lage wegen. Ich hatte mich seit einiger Zeit mit dem Gedanken getragen, es einmal aufzusuchen, die diesjährige Mardin-Biennale mit dem Thema Mythologisieren war dann konkreter Anlass, mich auf den Weg zu machen.
Ich flog via Istanbul nach Gaziantep, jene Stadt, die in diesen Monaten vor allem als Durchgangsstation für Dschihadisten aus dem Westen in den Schlagzeilen ist. Hier blieb ich eine Nacht, am nächsten Tag gegen Mittag nahm ich ein Taxi zum Otogar, dem lokalen Busbahnhof. Der Taxifahrer hatte früher einmal in Hamburg gelebt, er arrangierte für mich ein Ticket für einen Kleinbus, der schließlich bis zum letzten Platz und Stauraum gefüllt war.
Diese Schüssel war eines der Sperrgüter, mit dem sich der Chauffeur am längsten herumschlug. Die Fahrt nach Mardin von "Antep" über "Urfa" (Sanliurfa) war faszinierend, ich war davor noch nie auf einer Autobahn unterwegs gewesen, von der Abfahrten in Richtung Irak angezeigt werden. Man konnte auch sehen, dass die Infrastrukturprojekte der letzten Jahre sich nicht auf den Westen der Türkei beschränkten. Diverse Kanalprojekte versuchen der ariden Landschaft einen neuen Charakter zu geben. Die Straße war bis Kiziltepe gut ausgebaut, dort allerdings dann eher Wildwestverhältnisse, bevor es auf spektakuläre Weise den Berg hinaufging.
Mardin liegt hoch über dem Land, ähnlich wie Taormina oder eher sogar noch Enna auf Sizilien. Der Ausblick in die Tiefebene nach Südosten ist spektakulär, mein Hotel hatte eine passende Terrasse.
Am nächsten Tag unternahm ich zwei Expeditionen zum Sun Cinema. Eine in der Mittagshitze zu Fuß, und eine gegen Sonnenuntergang mit dem Taxi. Umgekehrt wäre wohl klüger gewesen, aber so läuft das eben selten auf Reisen: die Gebietsgewinne, den Überblick, den man sich verschafft, muss man sich immer hart erarbeiten, später kann man noch am selben Tag genießen, wie sehr man sich innerhalb weniger Stunden schon ein wenig beheimatet hat.
Hier der Moment, in dem ich das Sun Cinema zum ersten Mal erblickte - es liegt unterhalb der Altstadt, unweit einer berühmten, alten Schule, der Kasimiye-Medresesi, die an diesem Nachmittag von mehreren Reisebussen und Hochzeitspaaren aufgesucht wurde, weil sie sich sehr gut für Photo Ops eignet.
Bei meinem ersten Besuch zu Mittag war ich allein vor Ort, am Abend konnte ich dann allerdings feststellen, dass das Freiluftkino durchaus einige der sekundären Funktionen innehat, die traditionell auch dazu gehören: auf den angrenzenden Parkplätzen gab es das eine oder andere Auto, in dem Paare ein wenig Privatsphäre suchten, und im Schatten der Leinwand hingen ein paar junge Leute ab.
Am nächsten Tag durchstreifte ich noch ein wenig Mardin, wobei die Biennale im engeren Sinn auch eine kleine Suchaufgabe war. Selten habe ich eine Ausstellung gesehen, die so sehr in der Stadt verschwand, bei der die Grenzen zwischen Kunstraum, Einzelwerk und Umgebung so fließend waren. In den engen Gassen stieß ich auch auf zwei beschriftete Türen, die gar nicht weit voneinander entfernt lagen, mit markanten Aufschriften.
Am nächsten Tag, es war der Tag der Parlamentswahlen in der Türkei, fuhr ich mit einem deutlich größeren Linienbus nach Gaziantep zurück. Abfahrt war um 14.00 in Mardin, der Fahrplan war auf eine Ankunft des Busses am nächsten Morgen in Istanbul getaktet, es ging also langsam voran. In Sanliurfa sah ich einem jungen Paar dabei zu, wie es einen Blick auf die Immobilienträume der neuen türkischen Mittelschicht warf.
Mit Einbruch der Dunkelheit war ich wieder in Gaziantep, und bekam dort auch das Wahlergebnis mit: Die befürchtete Zweidrittelmehrheit für Erdogan war durch die "Kurdenpartei" HDP gebrochen worden, von der ich in Mardin eine Menge Aktivisten gesehen hatte. Das Flugzeug nach Istanbul startete am nächsten Morgen noch in der Dunkelheit, gegen Mittag war ich wieder in Berlin.
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