Stadtbrand mit Zuschauer

"Der schwarze Jakobiner" von Volker Kutscher

Volker Kutscher wurde mit seinem historischen Berlin-Zyklus so bekannt, dass auf Grundlage dieser Bücher derzeit die vielleicht ehrgeizigste deutsche Fernsehserie fertiggestellt wird: Babylon Berlin. Von den Krimis um den Kommissar Gereon Rath habe ich bisher zwei gelesen, auf die weiteren bin ich auch neugierig. Auf einen frühen historischen Roman von Kutscher bin ich auf einem Umweg gestoßen, fast schon könnte man von einer List der Suchmaschinenvernunft sprechen: Der schwarze Jakobiner tauchte bei einer Suche nach Texten zu Toussaint Louverture auf. Die Revolution in Haiti brachte mich nach Deutschland, in eine Stadt namens Wipperfürth im Jahr 1795. Kutscher veröffentlichte diesen Roman im Jahr 2003 in dem mir bis dahin unbekannten Emons-Verlag, in der Bio heißt es, dass er damals noch die Lokalredaktion der Bergischen Landeszeitung leitete - eine Tätigkeit, die es ihm erlaubte, in der Freizeit einen historischen Regionalkrimi zu schreiben.

Wipperfürth liegt südöstlich von Wuppertal, in einer Gegend, in der sich vermutlich gut wandern ließe (vielleicht gehe ich einmal die 45 Kilometer nach Plettenberg, zu Carl Schmitt, eine Antiwallfahrt). In Kutschers Roman erleben wir Wipperfürth als eine aufstrebende Stadt, mit einem regen Handelsbürgertum, aus dem auch die Heldin hervorgeht: Anna Christina Heyder, Kaufmannstochter mit dem Berufswunsch Malerin, eine perfekt gewählte Identifikationsfigur in einer Welt, die immer noch von Patriarchen geprägt ist. Anna ist in einen jungen Arzt verliebt, der sich in Wipperfürth niedergelassen hat. Jan hat ihr etwas verschwiegen. Er war nämlich während der Französischen Revolution in Paris, und das hat schauerliche Folgen bis nach Deutschland (ein wenig E.T.A. Hoffmann dürfte Kutscher schon gelesen haben).

Ein Mönch in schwarzer Kutte und mit Augenbinde hat schon früh im Buch einen effektvollen Auftritt, mit ihm hat auch der exzessivste Moment literarischer Freiheit zu tun, den Kutscher sich gönnt, denn dieser Schurke fackelt ganz Wipperfürth ab. Ein dortiger Stadtbrand im Jahr 1795 ist tatsächlich verbürgt, die französische Besatzung ist auch historisch, der Rest ist erfunden in jenem gebundenen Sinn, wie ihn das Genre vorschreibt. Anna würde gern bei Angelika Kauffmann in London lernen, soll aber ganz normal im Interesse der Expansion des Familienbetriebs verheiratet werden. Zum Glück kommt ihr die Weltgeschichte in die Quere.

Besonders interessant ist, dass Kutscher ihr eigentlich von Beginn an ein unkonventionelles Happyend verordnet, denn ihre Umstände (zwinker, zwinker) lassen eine Rückkehr in den Schoß der Familie eigentlich nicht mehr wirklich zu. Anna ist auf einer Flucht nach vorn, auf der sie es mit Lesegesellschaften zu tun bekommt, ein Buchdrucker erleidet einen grässlichen Tod, und über weite Strecken trägt sie Bücher (ein schwarzes Buch, ein Tagebuch) unter ihren Kleidern versteckt. Zum Lesen kommt sie vor lauter Laufen fast nicht.

Sie bleibt letztlich eine naive Heldin (im besten Sinn), während ihr Geliebter Jan den „schändlichen Plänen“ der „blutdürstenden Geheimbündler“ nur knapp entkommt. Er hat zuviel gesehen, dieser Jean Bouvier. Aber Anna nimmt auch ein persönliches Bild ihrer Lebensbeschleunigung mit in die Zukunft: eine Stadtansicht von Wippersfürth, die unvollendet blieb, weil das Sujet während des Malens abbrannte.

In dem widersprüchlichen Bild einer Malerin, die von einer Katastrophe überrascht wird, aber noch die ersten Momente mehr oder weniger "live" auf ein Gemälde malt, bevor sie dann doch von der Darstellung weg und in die Wirklichkeit eilt, unterläuft Kutscher fast so etwas wie eine Reflexion auf die unterschiedlichen Geschwindigkeiten des Historischen: das Ereignis, das im Moment aufschreckt, sinkt schließlich doch zurück in das größe Bild eines Zusammenhangs, der als Gemälde oder als Roman vor allem für Überblick sorgt. Anna ist die Agentin der Aktion in einem Genre, das geradezu nach dem Ohrensessel verlangt, sie ist aber als Malerin eben auch schon auf das Dilemma zwischen Unmittelbarkeit und Überzeitlichkeit verwiesen, das Kutscher auf die starke Metapher vom "Pinsel, an dessen Spitze es glutrot glänzte" bringt.

Volker Kutscher: Der schwarze Jakobiner (2003), vergriffen

 

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