Pazifiktion

Lektüre: "Haimatochare" (1819) von E.T.A. Hoffmann

In den Jahren 1815 bis 1818 war Adelbert von Chamisso als Mitglied der russischen Rurik-Expedition unterwegs. Er berichtete von seiner Reise um die Welt regelmäßig nach Deutschland, unter den Informierten war auch E.T.A. Hoffmann, der 1819 mit einer nur wenige Seiten langen Novelle reagierte, der ein gewisser satirischer Charakter nicht abzusprechen ist. In Haimatochare geht es um zwei Naturforscher, die sich von Sydney (Neu-Süd-Wales) aus nach O-Wahu auf den Weg machen, zu einer „merkwürdigen Reise“, auf der sie „manche höchst merkwürdige naturhistorische Beobachtungen“ zu machen hoffen.

Menzies ist auf Insekten spezialisiert, den Vorwurf, er wisse deswegen mit Menschen nichts anzufangen, will er aber nicht gelten lassen. Dass sein Freund Broughton überhaupt mit auf das eigentlich schon volle Schiff darf, muss zu Beginn eigens geklärt werden. Dann aber ist alles eitel Wonne: „O des herrlichen Lebens, das mir bevorsteht!“ Menzies ist so euphorisch wegen der Hoffnung, dass die „Natur mir ihre reiche Schatzkammer aufschließt“, er will sich „jenes nie erforschte Kleinod aneignen... das nie gesehene Wunder“. Er hat aber auch eine „sonderbare Ahnung“, auf der Insel könnte ihm „das größte Glück, oder unvermeidliches Verderben“ widerfahren.

Seine Naturforschung ist in einen unverhohlen kolonialen Kontext eingebettet. Der König von O-Wahu, Teimotu, bekommt vom Gouverneur von Neu-Süd-Wales ein Schiff geschenkt, und gibt dafür Lizenz: „daß wir alles, was O-Wahu nur für uns Nützliches und Wertes erzeugt, als unser Eigentum betrachten sollen“. Die Königin bekommt einen goldgestickten, roten Mantel, man sieht sie bald „in alle fantastische Schwärmereien geraten“, es macht auch den Anschein, dass sie „unserm Menzies nachläuft“. Broughton findet Abhilfe: „ein tüchtiges Glas Gin oder Rum ..., welches ihren sehnsüchtigen Schmerz merklich lindert“.

Die Freundschaft der beiden Forscher gerät in eine Krise, als Menzies eine Entdeckung macht: „die niedlichste, schönste, lieblichste Insulanerin, die ich jemals gesehen“. Er nähert sich „der Kleinen“, und nimmt sie mit, „mein liebliches Wesen, meine Haimatochare“ (der Name bedeutet so viel wie „dem Blut zugeneigt“, oder einfach Blutsaugerin). Der gottgleiche Rang des europäischen Entdeckers äußert sich in der weiteren Beschreibung seiner Entdeckung, in der Motive des biblischen Schöpfungsberichts unübersehbar sind: „Haimatochare, die ich frei, in der freien Natur auf dem schönsten Teppich schlafend fand, der erste, der sie betrachtete mit liebenden Augen, der erste, der ihr Namen gab und Stand“. Die Entdeckung ist zugleich schon der Sündenfall. Der Teppich, bei dem man an Gras oder Moos denken wollte, ist allerdings von Broughton, der also früher dran war und schon ein Kulturgut in die paradiesische Szene eingeführt hat – das aber zuerst als Metapher gelesen werden kann.

Hoffmann hebt auf eine naheliegende Pointe ab: die Insulanerin, um die sich Menzies und Broughton schließlich so zu streiten beginnen, dass sie sich in einem Duell wechselseitig erschießen, ist ein Insekt, ein Wesen, das Hoffmann mit einem langen lateinischen Zitat der Lächerlichkeit preisgibt, denn im Zentrum steht das Wort „habitans in homine“ (sie lebt auf dem Menschen, Wulf Segebrecht übersetzt folgerichtig schnöde mit Filzlaus). Die Insulanerin bekommt dann das größere Begräbnis als die beiden Duellanten: Das Insekt wird „unter dreifacher Abfeuerung des Geschützes ins Meer geworfen. Hierauf stimmte die Königin Kahumanu einen Gesang an, in dem sämtliche O-Wahuer einstimmten und der so abscheulich klang, als es die erhabene Würde des Augenblicks erforderte.“

Erhabenheit und Abscheulichkeit finden komisch zusammen, gesteigert noch durch eine Selbstverletzung der Königin, sie hat sich (wegen Menzies, müssen wir annehmen) „einen großen Haifischzahn in den Hintern gebohrt und leidet von der Wunde noch große Schmerzen“. Und Hoffmann setzt noch einen drauf, indem er ein zweites Mal betont, „daß die O-Wahuer entsetzlich heulten, welches die Würde und Feierlichkeit der Handlung nicht wenig erhöhte“. Haimatochare erschien 1819 in der Zeitschrift Der Freimütige oder Unterhaltungsblatt für gebildete, unbefangene Leser. Man liest die Erzählung in einer Viertelstunde, und wird tatsächlich mit einer „merkwürdigen Reise“ belohnt. Ich musste an Marlon Brando auf Tahiti denken, und an den Berg Analog.

Lektüre: "Des Vetters Eckfenster" (1822) von E.T.A. Hoffmann

Lektüre: "Klein Zaches genannt Zinnober" (1819) von E.T.A. Hoffmann

 

 

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