Filme und Folgen (78)
Notizen: Februar 2025
Will My Parents Come to See Me? Mo Harawe Österreich/Somalia 2022
Eine Frau in Uniform (Polizei/Justizwache) wartet in einem Auto. Dann geht sie in ein Gefängnis, erkundigt sich bei einem jungen Mann namens Farah, was er essen will (Fleisch und Coca Cola). Er wird zu einer Untersuchung gefahren, dann gibt es ein Gespräch mit einem Mann vom Gericht. Nun wird klar, dass Farah vor seiner Hinrichtung steht. Er hat noch eine Nacht. Seine Frage: Werden meine Eltern kommen, um mich noch einmal zu sehen? Es folgt ein Gespräch mit einem Imam, dann die Schlaftablette. Die Hinrichtung soll außerhalb der Stadt stattfinden. Farah ist die ganze Zeit ruhig, erst im letzten Moment (Mo Harawe nimmt dabei den Ton der Stimme weg, wie um das Vergebliche seines Aufschreis zu betonen) bricht Farah zusammen und wirft sich den Polizisten zu Füßen. Die Polizistin ist die Figur, die mit ihrer Undurchdringlichkeit für die Ambivalenz des Systems steht, das einen (islamistischen) Terroristen ausschaltet, aber auch die „Jugend der Nation“ – so heißt der Song, den sie im Auto hört, bevor sie die Szene verlässt. Ein Esel, der nachts in einer fast schwarzen Szene in Farahs Zelle blickt, spiegelt zeichenhaft die anzunehmende Rolle von Farah. Die Eltern sind nicht gekommen.
È a questo punto che nasce il bisogno di fare Constanze Ruhm Österreich 2024
Mit einem Film, der „wie ein zerbrochener Spiegel“ konzipiert ist, arbeitet Constanze Ruhm an Anschlussmöglichkeiten an verschiedene Phasen des Feminismus in Europa. Das progressive Italien der 1970er Jahre ist dabei der eine bedeutende Moment, das höfische Frankreich im 17. Jahrhundert ein anderer. 1976 veröffentlichte Maria Grazia Chinese das Buch La strada piu lunga (Die längste Straße). Es enthielt Texte der Gruppe Rivolta femminile, und Fotografien, auf denen die Protagonistinnen zu sehen sind. Für Constanze Ruhm sind Nachstellungen oder reenactments dieser historischen Szenen ein Ausgangspunkt. Sie sucht heutige, junge Italienerinnen, und lässt sie in den Posen, in der Nachdenklichkeit, in einer Annäherung an die Erscheinung ihrer Vorgängerinnen zu Figuren in einer Sukzession werden.
Sie versucht, „eine neue zeitgenössische Gemeinschaft junger Frauen zu bilden“, so wie schon Rivolta femminile ein Versuch war, sich als Frauen selbst zu organisieren. Als „Teil einer besiegten Spezies“, wie es Carla Lonzi einmal formulierte. Die 1982 gestorbene Intellektuelle und Aktivistin arbeitete vor ihrem Tod an einem Buch mit dem Titel Armande, sono io, in dem sie sich mit der Bewegung der „Preziösen“ auseinandersetzte – einer Gruppe von Frauen, die zur Zeit Molières frühe Formen feministischer Assoziation entwickelten. Constanze Ruhm öffnet mit È a questo punto che nasce il bisogno di fare ein reiches Archiv von künstlerischen und politischen Praxen, und findet für ihren Diskurs eine genuin filmische Form: von der sorgfältigen Darstellung bis zur palimpsestischen Überschreibung sind viele Wege möglich, um aus den Scherben vergangener Versuche neue Inspiration für die lange unterdrückte Tatsache zu gewinnen, dass „Kunst eine Sache der Frauen ist“.
Europa 51 Roberto Rossellini Italien 1952
Das Vorbild für Kontinental 25 von Radu Jude, ein guter Anlass für ein Wiedersehen mit Rossellinis ambivalentem Versuch, seine Beziehung zu Ingrid Bergman durchzuarbeiten. Sie spielt Signora Irene Girard, eine reiche Frau, deren Ehemann als Beauftragter einer großen amerikanischen Firma in Rom ist. Für den gemeinsamen Sohn Michel hat sie nicht immer ausreichend Zeit, bei all den Abendgesellschaften, die es im Hause Girard dauernd gibt. Sie müsste es besser wissen, denn die verbindende Erinnerung von Mutter und Sohn sind die Bombennächte, die sie in Großbritannien durchlebten, als Hitler die Insel mit air raids überzog. Als Michel sich im Treppenhaus hinunterstürzt, steht die Möglichkeit eines Selbstmordversuchs im Raum. Schon das erschüttert Irene, und als das Kind schließlich an einem blood clot stirbt, fällt sie völlig aus ihrem bisherigen Leben (che fatalita!) hinaus. Inspiriert von Andrea, einem ihr nahestehenden Kommunisten, begibt sie sich auf Expeditionen in die Welt jenseits des Großbürgertums. Sie geht in eine Fabrik, dringt in die Wohnung einer vielköpfigen, armen Familie in den Neubausiedlungen vor, begleitet eine junge, lungenkranke Frau „mit leichtem Ruf“ in den Tod.
Im Hintergrund lässt Rossellini dabei die Weltpolitik präsent sein (die persischen Ölfelder zwei Jahre vor dem Putsch gegen Mossadegh), dazu die Kommunikation der vernetzten Entscheidungsträger (Anrufe aus London), sowie die Debatten der Zeit über realpolitische kommunistische Optionen (sie machen aus der Arbeit einen Gott, so Irene einmal, sie hat auch eine andere Vorstellung von Paradies, denn sie denkt dabei zuerst an ihr Kind und daran, wo Michel nun sein könnte). Irenes Mann verhält sich erwartungsgemäß, er lässt Andrea beschatten und vermutet eine Affäre. Aber Irene arbeitet sich ebenso unbewusst wie konsequent zu den Institutionen vor, in denen die Gesellschaft das nicht Integrierbare verwaltet, kurz droht ihr Gefängnis, weil sie einem Bankräuber half, schließlich kommt sie in eine psychiatrische Klinik, wo man sie mit Rorschachtests quält, wo aber durchaus auch in Erwägung gezogen wird, dass sie in eine andere (spirituelle?) Kategorie gehört. Das „addio“, mit dem sie sich von ihrem Leben mit George verabschiedet, ist dann ebenso beiläufig wie immens. Die Armen wissen jedenfalls, was sie von ihr zu halten haben: „una santa“, eine Heilige, rufen sie hinauf zur Bergmann, deren Blick (hinter Gitterstäben) in der finalen Großaufnahme bricht.
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