Leuchtturmwissenschaft

"Annihilation" von Jeff VanderMeer

Ich hatte kürzlich eine eigentümlich synchronizistische Lektürekonjunktion, weil ich gerade Georg Kleins Miakro las, als plötzlich zahlreiche Texte zu Alex Garlands Film Annihilation erschienen - der auf Netflix verbannt worden war, weil er dem amerikanischen Verleih zu komplex für eine Kinoauswertung erschien. Miakro ist ein Para-SF-Roman, der sich ein Späßchen mit allen möglichen Alien-Invasion-Szenarien und Dystopien macht, und den ich so verstanden habe, dass sich da zwei Textbewegungen parasitisch ineinander verschlungen auf einer phantastischen Reise entlang der Außen/Innenseite von „Gefäßen“ befinden.

Die Texte zu Annihilation haben mich dann so neugierig gemacht, dass ich zuerst einmal Jeff VanderMeers Roman gelesen habe, Auftakt zu einer Southern Reach-Trilogie - und eigentlich könnte ich mir gut vorstellen, dass Klein sich hier eine Menge abgeschaut hat; er hat dann ja trotzdem ganz etwas Anderes daraus gemacht. In Annihilation gibt es jedenfalls dieses zentrale Motiv, dass ein Leuchtturm (in einer geheimnisvollen Area X) eine Entsprechung in einem Tunnel hat, der sich ebenfalls als ein Turm erweist, allerdings weist dieser Turm ins Erdinnere. Und entlang des Abstiegs verläuft ein Text, der aus organischen Buchstaben besteht, und von einer Kreatur geschrieben wird, die als Crawler bezeichnet wird - wörtlich eine Raupe, aber natürlich ist das ein hoch resonantes Wort, das auch direkt in das Weltgedächtnis des Internets führt.

Nicht, dass VanderMeer es darauf anlegen würde. Das Faszinierende an Annihilation ist, wie hier (Pan)Theologie, Ungeheuerkunde, Subjektivität und Zellebene aufeinander bezogen werden. Die Erzählerin ist ausgebildete Biologin, sie hat ihre prägenden Erfahrungen an einem zuwachsenden Pool und später an Gezeitentümpeln gemacht. Sie gehört einer Low-Tech-Expedition an, die herausfinden soll, was es mit der Area X auf sich hat. Davor gab es schon eine lange Reihe von Expeditionen, die Biologin gehört der zwölften an (die Zählung erweist sich bald als fragwürdig), auf der elften hat sie ihren Ehemann verloren, dessen Schicksal sie nebenbei auch hinterherforscht.

Das alte Spiel mit Andeutung und Auflösung beherrscht VanderMeer sehr gut. Auch bei ihm läuft die Sache letztlich auf reflexive Schleifen hinaus, allerdings ist der Ort dieser Schleifen in Annihilation nicht nur das Bewusstsein, sondern man kann das Bild des aus der Wand wachsenden Texts (in Miakro spricht Klein übrigens von „auswanden“ als einem zentralen Kreationsvorgang) durchaus beim Wort nehmen: Wahrnehmung und Bedeutung werden hier molekular, die Biologin trägt eine Epiphanie (eine „brightness“) schon in sich, bevor sie tatsächlich eine hat. Körpergrenzen werden osmotisch-phantastisch durchlässig auf Hybridkreaturen, die Menschen gehen durch Transsubstantiationen.

Das beste Bild von vielen ist das, mit dem die namenlose Erzählerin den Alien-Aspekt der ganzen Sache bezeichnet: offensichtlich hat ein Kontakt mit einer anderen Welt stattgefunden, aber daraus wurde keine Invasion, sondern der Planet trägt seither einen „Dorn“ in sich, einen Stachel, eben diese Gegend am Meer, deren Grenzen wandern.

Wie es sich gehört, hat diese Lektüre Motive für viele weitere gebracht: der New Yorker erwähnt Virginia Woolfs To the Lighthouse, Tim Caspar Boehme in der taz hat Stanislaw Lems Die Stimme des Herrn assoziiert. Davor werde ich mir aber den Film von Alex Garland ansehen, und dann der Erzählerin in den zweiten Band folgen.

Ich habe die Originalfassung gelesen. Die deutsche Übersetzung ist bei Antje Kunstmann erschienen.

 

 

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