Filme und Folgen (82)
Notizen: Juni 2025
Jerusalem: An Occupation Set in Stone? Marty Rosenbluth Palästina 1995
Ein einstündiges Video aus dem Palestinian Housing Right Movement, das 1995, also während des Friedenprozesses, der 1996 mit dem ersten Wahlsieg von Netanjahu scheiterte, nachvollziehbar machte, wie Israel nach dem Sechstagekrieg die Verhältnisse in Jerusalem veränderte. Bis dahin war Ost-Jerusalem unter der Verwaltung Jordaniens, nun war Israel die Besatzungsmacht, und sorgte zügig für Klarheit. Zuerst wurden die Stadtgrenzen neu gezogen, danach ging es darum, methodisch eine jüdische Bevölkerungsmehrheit zu schaffen, mit den Mitteln der Flächenwidmung (besonders wichtig wurden viele „green belts“, in denen Palästinenser, selbst wenn sie Landrechte hatten, nicht bauen durften, während umfangreiche jüdische Siedlungen immer wieder genehmigt wurden, zu denen dann auch Straßen gebaut wurden, die von Palästinensern nicht benutzt werden durften).
Markant ein paar Interviews mit jungen Leuten, die neu in eine jüdische Siedlung ziehen, und die nicht bemerken, dass am Eingang in einem alten Bus ein Vertriebener lebt. Interviews mit Betroffenen und Stadtplanern machen die Standpunkte deutlich. Wichtig eine Szene, in der Ehud Olmert eine progressive Abgeordnete Anat Hoffman einfach abbügelt, um eine besonders umstrittene Siedlung zu genehmigen.
Das Video ist natürlich engagiert, zeigt aber nichts, was man nicht aus anderen Zusammenhängen wissen könnte. Israel hat 1967, wie schon 1948, Gebietsgewinne zügig so in Vorherrschaft überführt, dass daraus ein System entstand, für das der Begriff Apartheid in meinen Augen zutreffend ist. Im ersten UN-Plan von 1947 war Jerusalem als internationales Territorium vorgesehen. Für eine Stadt, auf die drei Weltreligionen so wichtige symbolische Ansprüche erheben, wäre das nach wie vor die beste Lösung.
The Studio Seth Rogen & Evan Goldberg 10 Folgen
Seth Rogen spielt Matt Remick, der in der ersten Folge von Griffin Mill (Bryan Cranston in einer Rolle, die deutlich macht, dass uns im Deutschen ein Wort für hilarious fehlt) zum Boss des Studios Continental gemacht wird. Matt liebt und kennt das Kino, die ganze Staffel hindurch wird er für sein Festhalten an Kunst, das natürlich naiv ist, gedemütigt („wir sind Erbsenzähler“, weist ihn ausgerechnet Ted Sarandos von Netflix zurecht, eines von vielen Cameos). Seth Rogen hatte ich gar nicht mehr so richtig präsent, er macht so viel und ist überall, hier ist er wieder einmal so richtig in seinem eigenen Bereich, mit Spezl Evan Goldberg.
Alle Folgen sind kleine Hochseilakte, auch wegen der beweglichen Kamera, die aber gar nicht so auffällt. Höhepunkt ist eindeutig Folge 2, in der Sarah Polley einen Kunstfilm dreht, und Matt unbedingt am Set dabei sein will, wo ein „oner“ gedreht werden soll, ein durchlaufender Take, der in einer wirklich virtuosen Abfolge von Gags von Matt andauernd gestört und schließlich ruiniert wird. Beim Casting für einen Film über den Kool-Aid Man (mit dem der Erfolg von Barbie eingeholt werden soll) werden großartig alle predicaments der representation durchgespielt, mit der Pointe, dass Matt von Ice Cube als „my n**ger“ an die Brust genommen wird. Interessant, wie Rogen in all dem auf eine liebenswerte Weise im Zentrum und dort vollkommen verloren ist, selten habe ich zuletzt einen Star wieder so ins Herz geschlossen. Das ganze apatowische Universum (auch Nicholas Stoller hat ein - distanziertes - Cameo) war schon weit weg, nun ist es wieder da, als ein rogenisches. (Apple)
Anul Nou care n’a fost (The New Year That Never Was) Bogdan Muresanu Rumänien 2024
Rumänien wenige Tage vor Weihnachten 1989: Das Fernsehen hat eine Jubelsendung für Ceasescu aufgenommen, die Frau, die in Großaufnahme einen „patriotischen Freudengesang“ auf den Conducator gesprochen hat, hat sich in den Westen abgesetzt. Nun wird eine Schauspielerin gesucht, mit der die unumgängliche Stelle wiederholt werden kann. Rund um das Theater, in dem Florina gefunden wird, und rund um die Fernsehanstalt sowie mit zahlreichen weiteren Figuren erzählt Muresanu die letzten Stunden des Ceausescu-Regimes als eines Systems organisierter Zustimmung, die mit ihren kleinen und größeren Kompromissen, mit ihren Widerstandsmomenten und dem Wunsch nach einem ruhigen Fest alle erdenklichen Positionen berücksichtigt – während in Timisoara die Revolution schon im Gang ist und ein Massaker stattgefunden hat. Nicht ganz so pointiert wie bei Corneliu Porumboiu in 12.08 - Östlich von Budapest, aber mit einem vergleichbaren Interesse steuert Muresanu die Geschichte auf zwei Fernsehbilder zu, die schließlich direkt nebeneinander stehen: von der entgleisenden Jubeldemo, von der Ceausescu schließlich davon läuft (das muss nicht mehr gezeigt werden) und von der ebenso entgleisenden Darbietung von Florina. Der Kipppunkt der rumänischen Revolution (der „Funke“, den Muresanu ganz wörtlich nimmt) war öffentlich, und dieser Film gibt dazu eine unmittelbare Vorgeschichte, er bettet den Funken in einen Alltag ein, der hier im negativen Zeichen der Möglichkeit steht, dass alles auch immer noch so weiter hätte gehen können, wie es die teils resignierten, teils verhärteten, teils opportunistischen Menschen im Wesentlichen erwarteten.
Morometii 3 Stere Gulea Rumänien 2024
Morometii von Marin Preda aus dem Jahr 1955 ist für Rumänien der Nationalroman schlechthin. 1987 wurde er von Stere Gulea, noch im Kommunismus verfilmt. 2017 gab es eine Fortsetzung, und nun schließt sich elegant und sogar ein wenig raffiniert der Kreis, denn der dritte Film über die Familie Moromete erzählt von Niculae, dem jüngsten Sohn der Bauernfamilie, der es zum Schriftsteller gebracht hat, und der nun in der Zeit der beginnenden kommunistischen Radikalisierung und der Kollektivierung der Landwirtschaft mit Kollegen ins Feld geschickt wird, und zwar ausgerechnet nach Silistea, in die Gegend, aus der die Familie Moromete kommt. Szenen aus dem Film von 1987 werden als zeitgenössisch für 1954 genommen. Niculae ist hin und her gerissen zwischen seinen Vorstellungen von Literatur und den Anforderungen des Verbands, denen er zu genügen hat, und denen er sich auch ziemlich pragmatisch unterwirft, er hadert nur persönlich.
In klassizistischem Schwarzweiß erzählt Gulea davon, wie sich die Parteiideologie konsolidiert und der alles durchwirkende Staat entsteht, der dann bis 1989 bestehen blieb. Ein wenig unvermittelt erweist sich schließlich, dass Niculae die ganze Zeit, in der er sich ein wenig als Mann ohne Eigenschaften durch die Widrigkeiten mogelt, schon einen Roman für die Schublade schreibt, von dem ihm eine junge Frau deutlich macht, dass er groß ist: Der Roman Morometii kommt in dieser Version aus der Familie Moromete selbst.
Ink Wash Sarra Tsorakidis Rumänien 2024
Sieben Jahren war die Künstlerin Lena mit Dragos zusammen, dann zerbrach die Beziehung wegen ihres Kinderwunsches, für den er nicht bereit war. Nun ist sie Teil einer Ausstellung, mit einem Bild von Wasser und Wellen (eine Sammlerin sieht sogar einen Malstrom). Nachher sitzen ein paar Leute beim Galeristen zusammen, aufgeklärte, weiße Rumänen, die über ihre Privilegiertheit und über Kolonialverhältnisse diskutieren. Dragos ist mit seiner neuen jungen Freundin da, sie ist schwanger und redet großspurig darüber, wie stark sie mit ihrem Körper verbunden ist. Die Kamera bleibt dabei meist auf dem Gesicht von Lena, der beeindruckenden Ilinca Harnut, die auch am Drehbuch mitgearbeitet hat. Eine Frau um die 40, mit einem leichtem Smirk um die Lippen, oft hat man den Eindruck, niemand kommt ihr so richtig nahe, nicht einmal sie selbst. Unvermittelt ist sie dann an einem Ort im Wald, in einem Naturschutzgebiet, wo ein großes Hotel für eine Eröffnung vorbereitet werden soll. Sie hat den Auftrag, ein Wandbild zu malen – Wellen, Wasser, asiatische Ästhetik.
Sie trifft dort einen syrischen jungen Mann und einen dänischen Projektmanager. Mit Rafi geht sie wandern, mit Asger geht sie ins Bett, begreift aber zunehmend dessen dubiose Rolle (er scheint auch beim illegalen Holzabbau involviert, das Hotel ist vielleicht nur ein Vorwand). Sarra Tosakidis liebt modernistische Kadragen, mit Brüchen und Spiegelungen im Bild, einmal eine fast schon an Jeff Wall erinnernde Totale einer Hochzeitsgesellschaft, in der viele Dinge gleichzeitig passieren, und Lena einzeln am Rand sitzt. Insgesamt ist das ein Film mit exzellentem Sinn für Mise-en-scène, auch für Szenenaufbau (in der Küche nach Lenas Ankunft im Hotel oder in Asgers Büro, wo seine Zuneigung schon leicht übergriffig wird). Ein kleiner Höhepunkt des ohnehin sehr formbewussten und von genialen Männern bestimmten rumänischen (in diesem Fall: griechisch-rumänischen) Kinos.
Pressure Horace Ové England 1975
Als ich den Mehrteiler Small Axe von Steve McQueen sah und auch etwas darüber schrieb, da kannte ich Pressure noch nicht – und konnte somit auch nicht wissen, wie stark die Abhängigkeit ist, man könnte im Grunde von einem Remake des Films aus dem Jahr 1975 sprechen. Antony ist der jüngere Sohn eines aus Trinidad eingewanderten Paares in Ladbroke Grove – der Vater betreibt zur Straße hin einen Laden, dahinter ist das Wohnzimmer, die Mutter Bopsie geht Putzen. Antony hat einen Schulabschluss, nun soll er Arbeit finden, er trägt die Hoffnungen der sozial ehrgeizigen Mutter, während sein Bruder Colin sich bei den Panthers engagiert, und zum Frühstück „zaboca“ (das auf Trinidad einheimische Wort für Avocado) isst und nicht Speck mit Eiern, wie sie Bopsie für Tony zubereitet. Ein Vorstellungsgespräch wird zu einer Karikatur der Möglichkeiten der Integration in die weiße Gesellschaft, und um dieses Generalthema geht es dann die ganze Zeit: Gibt es für Tony, den „English boy“ (er ist im United Kingdom geboren) einen Weg der Teilhabe, oder soll er sich doch eher dem Kollektivismus der Schwarzen anvertrauen? Eine tolle Agitatorin namens Sister Louise bringt es auf den Punkt: „individualism is the white man’s desire“.
Individualismus hieße: Lohnarbeit, vielleicht sogar eine Beziehung mit dem Mädchen Sheila, das keine rassistischen Vorurteile hat, anders als ihre Zimmerwirtin. Horace Ové schickt Tony einmal durch die gesellschaftlichen Möglichkeiten, spart auch die Probleme in der Community nicht aus, einmal gerät er in einen Ladendiebstahl, und als er das erste Mal Gras raucht, hat er einen ambivalenten Traum (er schläft mit Louise und vollzieht dann ein blutiges, sehr surreales Ritual mit einem Schwein). Viele großartige Figuren, auch eine tolle Sprache, der die englischen Untertitel so gut wie möglich zu entsprechen versuchten: Tony ist der „bwoy“ nicht nur seiner Eltern (seiner Mutter reißt er an einer Stelle die Perücke vom Kopf, das Requisit der Anpassung), sondern der Community. (City Kino Wedding Arsenal on location DCP)
Interior Zone Eugen Jebeleanu Rumänien 2025
Cristina, 31 Jahre alt, arbeitet für eine Immobilienfirma, die an der Peripherie von Bukarest mit nicht immer ganz sauberen Methoden Wohnbauten errichtet, bei denen Menschen wie sie selbst als Kundschaft in Frage kommen. Also Menschen in Rumänien, deren Leben vom Kommunismus kaum mehr betroffen ist, dafür aber von den Zumutungen des modernen Lebens (Fernbeziehungen, Bürohierarchien, Formularbetrug). Die Rolle der Cristina verteilt sich auf drei Schauspielerinnen, nach Kriterien, die ich bei einer eingehenderen, zweiten Sichtung vielleicht herausfinde – zuvor muss ich aber noch den Roman von Lavinia Braniste lesen, was ich unbedingt tun möchte, weil ich die Autorin von dem Film Zwei Revolutionen schon kenne und schätze. Mit gelegentlichen Umsprüngen auf die Meta- und Produktionsvorbereitungsebene (die aber genau so fiktional wirkt) erzählt Jebeleanu davon, wie Cristina sich in ihrer Firma zurechtfindet (die französischen Dienstherren kommen und bereiten die Abwicklung der Abteilung vor, eine sehr komische Partyszene spielt in einem Großlager, das an eine Ikea-Abholzone erinnert), wie sie durch eine Affäre durcheinander gerät. Sie lässt sich die Haare kurz schneiden, und wirkt dann auch nicht weniger verwundbar. Starker Film über die neue rumänische (untere) Mittelklasse.
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