Erstes Eingeweide
César Aira (2): Der kleine buddhistische Mönch
Weil die Geschichten von César Aira in so unberechenbaren fiktionalen Universen spielen, ist es angeraten, immer von Beginn an auf jedes Textsignal zu achten. Im Falle von Der kleine buddhistische Mönch ist es das Adjektiv mit der Größenangabe. Unter "klein" stellt man sich üblicherweise jemanden vor, der kleiner ist als andere Menschen, aber immer noch im gleichen dimensionalen Bereich.
Erst allmählich wird klar, dass dieser Mönch, der davon träumt, nach Europa auszuwandern und der eines Tages in Korea einen französischen Fotografen und dessen schöne Gattin trifft, kleiner ist, als man sich das unwillkürlich beim Lesen gedacht hatte.
Vermutlich ist es genauer sogar noch so, dass er im Verlauf der Begebenheit - er fährt mit dem Fotografen zu einem Tempel, wo dieser eine der Panoramaaufnahmen machen will, für die er bekannt ist - immer kleiner wird. Da ist schon klar, dass es Aira dieses Mal sehr stark um Perspektivierung geht, und um einen kleinen buddhistischen Mönch, der allmählich verschwindet.
Wenn ich jetzt ein paar Dinge vom Ausgang der Geschichte verrate, dann handle ich übrigens in gewisser Weise buddhistisch. Denn Aira spielt die ganze Zeit mit dem Motiv der Verkehrung (Korea als "die Welt verkehrt herum", die Franzosen haben den Eindruck, sie wären "auf der anderen Seite des Spiegel" angekommen), und in einer zentralen Passage geht es um zwei buddhistische Schulen, die sich durch die Weise unterscheiden, in der sie Witze erzählen. Eine westlich orientierte Richtung setzt darauf, die Pointe an das Ende zu setzen, während die Traditionalisten daran festhalten, dass bei einem Witz der erste Satz die Pointe sein müsste.
Der relevante Witz in Der kleine buddhistische Mönch wäre dann der, dass wir das Adjektiv "klein" im Titel unterschätzen. Aus verständlichen Gründen, denn wir rechnen mit einer normalen Figur, mit einem Subjekt halbwegs auf Augenhöhe. Davon kann bald keine Rede mehr sein, die fiktionale Welt wird übler von Auflösungserscheinungen heimgesucht, als sie es unter den Vorzeichen buddhistischer Weltdistanz ohnehin sein müsste.
Die letzten Anhaltspunkte entstammen der bildenden Kunst: Nam June Paiks TV Buddha huscht als flüchtiges Bild an uns vorbei, während wir den Mönch in einen überwältigenden, undurchdringlichen Mikrokosmos verschwinden sehen, auf ewig wohl unterwegs zu einer Fernsehsendung, zu der er abgrundtief zu spät sein wird. Sie verspricht einen virtuellen Spazierganz durch das "erste Eingeweide".
Auch dazu gibt es eine denkbare Referenz, nämlich einen berühmten feministischen Avantgardefilm: Near the Big Chakra von Anne Severson. Ob César Aira davon weiß? Zuzutrauen wäre es ihm allemal.
César Aira: Der kleine buddhistische Mönch, Übersetzung von Klaus Laabs, Matthes & Seitz 2015
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