Erinnerung als Übergangsritual

Lektüre: "Susan Taubes. Eine intellektuelle Biographie" von Christina Pareigis

Zu dem Buch über Susan Taubes kam ich über den Mann, von dem sie den Nachnamen übernahm, unter dem auch sie heute bekannt ist: Jacob Taubes, Religionswissenschaftler, Autor (für mich) vor allem einer Studie über Die politische Theologie des Paulus. Nachdem ich dieses Buch gelesen hatte, notierte ich mir ihren Roman Divorcing zur Lektüre, ich erhoffte mir, davon mehr über die Beziehung dieses Paares zu erfahren. Die deutsche Ausgabe hat den dämlichen Titel Scheiden tut weh. Ich bin bis heute nicht dazu gekommen, die englische Ausgabe oder die Übersetzung zu lesen, war aber immerhin schon so weit neugierig, dass ich stattdessen vorher die Biographie von Christina Pareigis gelesen habe. Divorcing ist dafür eine prominente Quelle, autobiographisches Schreiben allgemein.

Susan Taubes war die Tochter einer jüdischen Familie aus Ungarn: unter dem Namen Judit Zsuzsánna Feldmann wurde 1928 ihre Geburt in Budapest vermerkt. Man hielt auf jüdische Tradition, der Großvater war Rabbiner in Galanta, man sprach von einer Abstammung von den Chasaren, einer osteuropäischen Bevölkerungsgruppe, mit der sich Motive jüdischer Staatlichkeit, aber auch Konversion verbinden (Arthur Koestler hat darüber das Buch Der dreizehnte Stamm geschrieben, The 13th Tribe). Susans Vater Sandor Feldman wurde Psychoanalytiker, und trat auch der Tochter gegenüber immer konsequent (und manchmal übertrieben) als Aufklärer auf: er legte Wert darauf, „wie jedes Ritual ein gewaltiger Schritt nach vorn war, zur Beherrschung der antisozialen Triebe“.

1939 folgte Susan Feldman ihrem Vater in die USA: sie verlor in diesem Jahr die Mutter, die nach Scheidung zurückblieb, und die europäische Heimat, für sie verkörpert vor allem in einer Villa in Buda, aber auch in einer schwer vermittelbaren Erfahrung: dem Geruch der Donau bei Visograd (Visegrád). Mit 17 beschrieb sie sich, offen für ein Lernen in alle Richtungen, so: „I am not a vague person. ... I love all form of human expression: religion, art, science, philosophy. I have no desire to become a specialist.“

Ihre Begegnung mit Jacob Taubes stand unter verschiedenen Vorzeichen: sie lasen gemeinsam die Vorsokratiker, konsumierten Haschisch, vor allem aber – nach dem Zweiten Weltkrieg schlug eine „theopolitische Stunde“ (Martin Buber) – die gemeinsame jüdische Identität, von der sich Jacob nicht wenig erhoffte, nämlich einen „sacramental way of life“ in Israel. Dafür war Susan dann doch nicht zu haben, sie schreibt später sogar pointiert einmal von einem „holy war against religion“, und geht mit ihren eigenen Interessen (Simone Weil, Heidegger, Tragödie, Gnosis, Auseinandersetzungen mit Lukacs oder Camus) tatsächlich vielen „Formen menschlichen Ausdrucks“ nach. Religion sieht sie als eine „living force“, eine Verbindung mit den „forces of creation“. Als Wissenschaftlerin erfährt sie viel Anerkennung, findet aber keine institutionelle Sicherheit (wie übrigens auch Jacob Taubes erst spät in Berlin).

Sie sieht sich zunehmend mehr im Feld der Literatur, seit ein paar Jahren liegen diese Texte auch auf Deutsch vor (im Rahmen einer Gesamtausgabe). Das Erinnern ist ihr zentrales Thema: „memory is an unending and unconsummated rite of passage“, das literarische Schreiben ist auch Konsequenz ihrer persönlichen Säkularisierung: „since belief in God has died everybody must be his own theologian and this function has been delegated to the novelist“. Ausgerechnet im Tanzlokal einer siebenbürgischen Stadt, schreibt Christina Pareigis, inmitten von fröhlichen jungen Menschen, sei unerwartet und mit nie gekannter Heftigkeit die Trauer um ihre beiden Cousinen über Susan Taubes gekommen – also eine Erinnerung an Auschwitz. Ihr Suizid im Jahr 1969, im Alter von 41 Jahren, wenige Tage nach dem Erscheinen von Divorcing, wird den Gepflogenheiten einer intellektuellen Biographie entsprechend eher beiläufig behandelt. Pareigis macht zwar deutlich, dass der Entschluss eine lange Vorgeschichte hatte, dass Taubes intensiv über den Tod (gerade auch ihren eigenen) nachdachte, welche Verzweiflungen schließlich akut ausschlaggebend waren, muss offen bleiben.

Ein Zitat von Susan Sontag habe ich herausgeschrieben: Sie vergleicht ziemlich brüsk Simone Weil und Susan Taubes. „S.W. erinnert mich natürlich an Susan (Taubes). Der gleiche Hunger nach Reinheit, die gleiche Ablehnung des Körpers, die gleiche Untauglichkeit fürs Leben. Wodurch unterschieden sie sich? S.W. war genial und Susan nicht. S.W. betrieb ihre Entsexualisierung, bekräftigte sie, bezog Kraft daraus – während Susan «schwach» war: sie konnte die Liebe von Frauen nicht annehmen, sie wollte von Männern verletzt und dominiert werden, sie wollte schön, glamourös, geheimnisvoll sein. Susans Verweigerung schwächte sie bloß, gab ihr keine Kraft. Ihr Selbstmord war zweitklassig. S.W.s Selbstmord war eine Erhöhung – so gelang es ihr schließlich, sich der Welt aufzudrängen, ihre Legende zu sichern, ihre Zeitgenossen und die Nachwelt zu erpressen.“

Für einen Eindruck davon, was im Denken von Susan Taubes alles zusammenfand, habe ich das folgende Zitat notiert – es scheint in den 50er Jahren beinahe schon die Debatten zu ahnen, die in den letzten Jahren über die Singularität der Shoah und die Vergleichbarkeit mit kolonialen Genoziden geführt wird: „I don’t know if there is «judgement». And if there were what would it mean? That all nazis (or why just the nazis why not all the white people who have enslaved, exploited and uprooted primitive peoples and prospered and are not submitted to a Nuernberg trial) will burn in hell and that Jacob Taubes will be forgiven his lesser sins? No, it doesn’t look as if there were judgement; and perhaps what we really crave is not so much that a bolt of lightning should slay the unjust man (i.e. since sometimes or mostly it is not within our power to electrocute the criminal, we ask god to do it) as that a light of recognition should fill the darkness between man and man, a light of recognition which makes them ashamed for their dishonesty and brings remorse to their hearts for the harm they have done to others.“

Als nächstes möchte ich von Susan Taubes ihre Abhandlung über The Nature of Tragedy lesen, und derweil die Augen offen halten, ob von der Anthologie African Myths and Tales (die sie unter dem Namen Susan Feldman herausgegeben hat) ein erschwingliches antiquarisches Exemplar auftaucht. Und ich bin auf einen Sammelband über Jüdischen Nietzscheanismus gestoßen, in dem es mehr über die Bewegung des Kanaanismus zu erfahren gibt, von der ich bisher nichts wusste.

Christina Pareigis: Susan Taubes. Eine intellektuelle Biographie, Wallstein Verlag, 472 Seiten

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