Eine Säule aus hellem Geflecht
Godard-Lektüren: "Ein Dichter kam und ging" (1923) von Charles Ferdinand Ramuz
Ein rätselhafter erster Satz: „Seine Hutte hat am Tage, als er kam, in den Weinbergen eine Helle gemacht.“ So beginnt der Roman Ein Dichter kam und ging von Charles Ferdinand Ramuz, erschienen zuerst auf Französisch 1923 unter dem Titel Passage du poéte. Dort lautet der erste Satz so: „Sa hotte a fait clair dans les vignes, le jour où il est venu.“ Das Wort Hutte (oder Hotte, Butte) bezeichnet einen Korb, den man auf dem Rücken trägt, zum Beispiel bei der Weinlese. Der Mann, von dem die Rede ist, ist aber kein Dichter, wie der Titel suggeriert, sondern Korber. Er flechtet Körbe.
Ich habe das Buch gelesen, weil es in einen motivischen Zusammenhang gehört, der bei Godard eine wichtige Rolle spielt: das Kino als „colporteur“, als Überbringer von Nachrichten. Er bezieht sich in erster Linie auf einen anderen Roman von Ramuz: Les signes parmi nous (Es geschehen Zeichen). Aber auch in Passage du poete gibt es unausdrücklich einen colporteur. Der Korbflechter Besson nimmt für eine Weile, eine Saison an dem Leben einer Gemeinde im „Weinland“ (vignoble) teil. Er bleibt als Figur im Hintergrund, rund um seine diskrete Präsenz arrangiert Ramuz seine kleinen Geschichten von Menschen aus der Gegend. Es ist eine Dorfgeschichte, die nie wirklich zu einer entwickelten Erzählung wird, alles bleibt eher Fragment, der einzige Zusammenhang ist der Gang der Jahreszeit, bis zu einem großen Schützen- und Erntefest. „Jetzt ist das Fest. Da steigt man auf seine Arbeit hinauf wie auf eine Mauer, und sieht nach, was auf der anderen Seite los ist.“
Ramuz ist zweifellos ein Heimatdichter (seine Region ist das Waadtland in der Schweiz, der Vaud), allerdings nicht in dem negativen Sinn, den dieser Begriff oft hat. Dazu ist seine Prosa deutlich zu modern. Besonders auffällig ist eine starke Konzentration auf visuelle Eindrücke: er beschreibt diese charakteristische Landschaft, die sich steil über einem (spiegelnden) See erhebt, so, dass man oft eine beinahe teleskopische Perspektive annehmen muss, eine Fernsicht auf Figuren, die den Berg hinaufklettern, über die Mauerbefestigungen hinweg, und immer wird dabei der Gang des Lichts mitbeschrieben. Über einen Großvater heißt es: „Und nun ist er aus dem Schatten herausgeboren, der den Hausgang zwischen rein gelb gestrichenen Wänden füllt; denn zuerst sah man nichts als einen bleichen Fleck, sein Gesicht ist es, das er mit großer Mühe hebt, der schweren Last wegen, die auf seinen Nacken drückt.“
Die Verbindung zwischen dem Erzähler Ramuz und dem autor in fabula wird schließlich an dieser Stelle besonders deutlich: „Seine Hutte hat Besson aufrecht gegen einen Tisch gestellt, bis zur Decke steigt sie hinauf, steigt in die Sonne hinauf; wie wenn man in einer andern Welt wäre. Es wogt die Decke, es wogt der obere Teil der Hutte. Wie wenn einmal überall Licht walten wird, wenn alles Geschaffene in Vollkommenheit glänzt. Man möchte sagen, er faßt die Dinge der Welt mit den Augen an, ordnet sie, wie neugeschaffen sehen sie aus, sind die nämlichen oder doch wieder ganz anders.“ Hier wird auch die „Helle“ aus dem ersten Satz charakterisiert.
Die theologische Vorstellung von einer neuen Wirklichkeit am Ende der Zeit wächst hier mit einem dichterischen Verfahren zusammen. Bei Godard taucht mehrfach ein abgewandeltes Paulus-Zitat auf: „the image will appear in the time of resurrection“. Was immer er sich dabei (wenn überhaupt) unter Auferstehung vorstellen mag, eine Idee davon könnte man auch bei Ramuz finden, der am Ende des Romans Licht und Dunkel auf eine bezeichnende Weise zusammenfallen lässt: Besson verlässt das Dorf, er entfernt sich nach oben, in die Finsternis. „Die Nacht über allem, was war, ist hinter dem, der da schreitet, und vor ihm die Nacht über allem, was sein wird; – und da hinein geht er nun und immer mit größerer Beharrlichkeit in diesen großen Wall von Schatten, denn nun beginnen schon die Wälder, und da verschwindet er, seine ganze Gestalt ist verschwunden, löst sich auf im Nichts, damit wieder ein Etwas werde. Er verschwindet, ist nicht mehr unter der Hutte zu sehen, unter den Körben, dem großen Korbhaufen, der Säule aus hellem Geflecht; – doch diese fängt auf einmal wieder an zu leuchten. Da leuchtet sie wieder. Überall ist die Nacht, nur auf ihr nicht. Ganz weiß ist sie wieder geworden. Und strahlt.“
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