Ärger im Paradies
Lektüre: "Malus" von Simone Hirth
Schon lange interessiere ich mich dafür, wie die Geschichte vom Paradies aus der Bibel neu und weitergeschrieben wird. Derzeit gibt es eine kleine Häufung: The Book of Eve von Carmen Boullosa lese ich gerade, auf Franz Müllers Film Die Tagebücher von Adam und Eva (nach Mark Twain) bin ich sehr gespannt. Und bei Simone Hirths Roman Malus war ich spätestens in dem Moment überzeugt, dass ich ihn zu Ende lesen würde, als Eva auf ihrer Flucht aus dem Paradies (und aus der Beziehung zu Adam) in Wien-Meidling landet, wo sie auf Magdalena trifft, die ebenfalls aus biblischen Texten (und aus ihrer Beziehung zu Jesus) in einen anderen Text und dort in den zwölften Wiener Gemeindebezirk geraten ist.
Der Zwölfte ist nicht der nobelste unter den Wiener Bezirken, aber er hat eine öffentliche Bücherei, die für die beiden Frauen (Exilantinnen, Vertriebene, Ausgestiegene, Aufgebrochene) ein Zufluchtsort wird. Magdalena ist aus dem Neuen Testament ausgestiegen, Eva aus der Genesis. Sie sind aus heiligen Texten in einen Roman gewechselt, geschrieben von einer Deutschösterreicherin im 21. Jahrhundert. Figuren sind sie immer noch, nun aber deutlich mehr im Zeichen der Moderne.
In der Genesis isst Eva einen Apfel vom Baum der Erkenntnis, und bricht damit den paradiesischen Bann. Gott reagiert mit Sanktionen: Du sollst deine Kinder unter Schmerzen gebären. In Malus kommt diese Sanktion in einem eingeschriebenen Brief. Gott und Adam wissen, wohin Eva geflüchtet ist. Sie machen sich weiterhin bemerkbar. Gott, „der alte Stalker“. Eva muss sich aus einer Geschichte befreien, die „über Jahrtausende in sie hineingewachsen“ ist.
Sie trägt ein Kind in sich, damit bekommt Malus ein wichtiges Thema: dies ist der Roman einer Schwangerschaft, in allen ihren physischen Facetten, auch ihren gesundheitsbürokratischen („dämlicher Mutter-Kind-Pass“, Sorgen wegen dem „depperten Stempel“, Verbot einer Hausgeburt bei Steißlage), zugleich bekommt Eva mit der Hebamme Johanna eine weitere Verbündete. Während der kleine Kain, der später einen besseren Namen bekommt, im immer mächtiger werdenden Mutterbauch wächst, muss Eva auch noch ein Scheidungsverfahren überstehen. Danach ist sie an Adam nicht mehr gebunden, aber über die gemeinsame Obsorge hat er nach wie vor Macht über sie. Jesus dagegen lässt Magdalena in Ruhe.
„Ist es ein Wunschkind?“, fragt Johanna an einer Stelle. Eva antwortet mit einer Gegenfrage: „Kann man vergewaltigt werden, ohne es zu merken?“ Das enthält interessante Implikationen über Sex im Paradies, sogar über schlechten Sex (mit einem grunzenden Adam) – hier lässt Hirth erkennen, dass das Paradies für sie eher eine Rückprojektion ist als ein Ausgangspunkt im Mythos. Meidling ist sicher kein Paradies, aber man kann kleine Gemeinschaften bilden, eine informelle Frauengruppe, und Magdalena hat sogar einen Kleingarten, wo man Ansätze zu paradiesischer Aufgehobenheit ausprobieren kann. Wenn sich nicht gerade wieder Adams Anwalt meldet, der Eva zur Hysterikerin erklären möchte.
Die Schlange, die nach geläufiger Lesart Eva zur Sünde verführt hat, hält ihr in Meidling die Treue, sie taucht immer mal wieder auf und legt sich wie eine Stola um ihren Hals oder bildet ein Nest. „Du bist bei Trost“, sagt Magdalena einmal zu Eva, eine Stelle, an der Simone Hirth den Hysterievorwurf mit bergender Sprache entgegnet.
Den Erkenntnisgewinn, der im Mythos von Sündenfall ja als Versprechen enthalten ist, holt sich Eva in der Bücherei. Sie borgt sich fast jeden Tag ein Buch aus, jeder Titel wird genannt, am Ende des Buches steht dann noch einmal die ganze Liste: ein Frauenkanon, aus dem ich mir Liv Strömquist und Sheila Heti notiert habe, Maxie Wander und Clarice Lispector liegen aus anderen Gründen ohnehin gerade weit oben auf meinem Lektürestapel.
Eine Triggerwarnung steht am Beginn von Malus. Der Roman endet schroff, und schockierend. Die Angst vor Adam, derentwegen Eva „alle Zustände“ bekommt, erweist sich als nur zu berechtigt. Den Institutionen (Justiz, Gesundheitswesen) ist dabei nur sehr bedingt zu trauen, die Bücherei ist eine Ausnahme. Malus ist der wissenschaftliche Name für Apfel, Malus ist aber auch das Gegenteil von Bonus. Eva hat nicht nur sich aus dem Paradies verabschiedet, auch der Mann ist aus seiner grunzenden Behaglichkeit aufgewacht, und kommt damit nicht gut zurecht. Der Bonus, den er sich wegen seines Geschlechts zuschreibt, schlägt in einen Malus um, den er selbst schafft.
Simone Hirth: Malus. Roman, Kremayr & Scheriau 2023
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