Im Zeichen des Bösen

Über "Traffic" (2000) von Steven Soderbergh

Auf einem Feldweg in Mexiko warten zwei Polizisten auf ihren Einsatz. Sie sollen einen Drogenkurier abfangen, und da kommt er auch schon, der schwarze Wagen. Widerstandslos ergibt sich der Schmuggler seinem Schicksal, denn der Grenzverkehr mit illegalen Gütern zwischen Mexiko und den USA funktioniert nach dem Prinzip der Lotterie: Jedes zweite Los gewinnt. In diesem Moment ist das Glück auf der Seite der Polizei, doch während die Amtshandlung noch im Gang ist, taucht eine ganze Armada von Fahrzeugen auf, und Männer in einer anderen Uniform zücken die Maschinengewehre. Die Armee übernimmt das Kommando. Und die heiße Ware.

Steven Soderberghs „Traffic“ ist ein Film über Menschen und Drogen. Nicht alle Menschen nehmen illegale Drogen, aber alle sind davon betroffen. Das Drogenproblem ist die letzte und stärkste Faser eines Zusammenhangs, der früher einmal Ausbeutung hieß und in den siebziger Jahren in elaborierte Interdependenztheorien übersetzt wurde. Dabei ist die Sache ganz einfach: In der Dritten Welt werden Rohstoffe produziert, die auf dem Weg in die Erste Welt verarbeitet werden, und am Ende werden sie verwendet. Wie früher die Gewürze aus Indien. In den USA wurde dem Drogenhandel der Krieg erklärt, als ginge es gegen eine Nation, dabei geht es um die Überschreitung von Grenzen, bei den Händlern wie bei den Konsumenten. Nur die Polizisten sind an die Vorschriften gebunden. Sie blicken dem Armeekonvoi hinterher.

Währenddessen, in Washington: Ein Mann macht sich bereit für ein neues Amt. Er ist zum Feldherr im Krieg gegen die Drogen ausersehen. Robert Wakefield (Michael Douglas) ist auf der Karriereleiter ganz in die Nähe des Präsidenten gerückt. Er weiß noch nicht, daß seine Tochter schon Crack konsumiert, und er hat keine Ahnung, daß die harten Drogen die Ghettos längst verlassen haben.

Währenddessen, in Kalifornien: Die hochschwangere Helena Ayata (Catherine Zeta-Jones) muß mitansehen, wie ihr Mann abgeführt und in Untersuchungshaft genommen wird. Ein Kronzeuge soll gegen ihn aussagen. Jetzt geht es nur noch darum, diesen Mann lebend in den Gerichtssaal zu bringen.

Währenddessen, an einem anderen Ort: Das Kino brauchte nicht lange, bis es diese einfache Möglichkeit der Montage begriffen hatte, und von diesem Moment an war es dem Roman gewachsen in der Bemühung, die Totalität einer Gesellschaft in den Blick zu bekommen. Nick Tosches hat es auf dem Feld der Literatur zuletzt versucht. Mit „Trinities“ hat er das Epos des weltweiten Drogenhandels geschrieben, eine halbdokumentarische Saga, in der noch die Tischsitten der chinesischen Triaden in allen dekadenten Details geschildert wurden. Soderbergh zielt auf dieselbe Totalität mit einem Film. Und welches Wort wäre besser geeignet, auf diesem Anspruch zu beharren, als „Traffic“? Ganz klein steht es zu Beginn links unten auf der dunklen Leinwand zu lesen, aber es enthält alles: Den kleinen Grenzverkehr, die Schiebereien in den Slums, die globalen Handelsrouten und die Kontrollen.

„Traffic“. Dann blendet Soberberg auf, und eine unruhige Reportagekamera sendet die ersten Bilder vom Krisenherd Mexiko. Sie sind fahl, ein wenig überbelichtet, geblendet beinahe von den Ereignissen. Die Polizisten behelfen sich mit Sonnenbrillen. Javier Rodriguez (Benicio del Toro) und Manolo Sanchez (Jacob Vargas) sind in diesem Spiel die Einsätze, wie die Drogenkuriere, die kleinen Killer und der Kronzeuge.

Ursprünglich war „Traffic“ eine fünfteilige Miniserie des britischen Fernsehsenders „Channel 4“. Diese Vorlage ist auch noch in der Dramaturgie des Films zu ahnen, der weit ausholt und am Ende ein wenig von den Anforderungen seines Formats in die Schranken gewiesen wird. Aber dieses Spiel mit den Notwendigkeiten ist das zweite Thema von „Traffic“, und es ist mit Sicherheit das Lebensthema von Steven Soderbergh als Filmemacher. Es genügt die Nennung des Titels „Sex, Lügen und Videotapes“. Nach dem frühen Erfolg ließ Soderbergh einige Verstiegenheiten in der Dimension eines Orson Welles folgen, und dann verschwand er.

Er mußte sich schließlich zurückarbeiten: 1997 drehte er „Out of Sight“, einen verträumten Thriller mit George Clooney und Jennifer Lopez, in dem eine Pop-Intelligenz zum Ausdruck kam, die dem Mainstream noch Kußhände zuwirft, während sie zugleich die eigenwilligen Details festzurrt. Ein neuer Typus des B-Films deutete sich an, wie auch in dem exzentrischen Nachfolger „The Limey“, in dem ein britischer Verbrecher nach Los Angeles kam, um seine Tochter zu suchen.

Wie Soderbergh hier die Erinnerung an den britischen Arbeiterfilm, das Image vergessener Schauspieler wie Terence Stamp oder Joe Dallessandro und die Mythologien des „California Dreaming“ auseinandernahm und neu zusammensetzte, das sah stark nach einer Ein-Mann-Nouvelle-Vague im amerikanischen Kino aus. Aber danach kam „Erin Brockovich“, und Julia Roberts brachte alles wieder ins Lot. Sie spielte eine Mutter Courage der Umweltbewegung, und Soderbergh inszenierte Volkskino in einem sehr ursprünglichen Sinn.

„Traffic“ ist jetzt wieder ganz anders, und trägt doch unverkennbare Züge einer Handschrift. Soderbergh ist ein Manierist, zumeist zeigt sich dieses Faible in einer leicht surrealen Montage. In diesem Fall ist es eher die Kamera von Peter Andrews, die zwischen den Schauplätzen hin und her taumelt, ausgeprägte Farbakzente setzt, und geradezu gierig Fakten und Indizien sucht, die Soderbergh dann sehr elegant montiert. „Traffic“ ist Kolportage, das ist an der Überdeutlichkeit zu sehen, mit der die Zeichen gesetzt sind.

Aber die Figuren sind reich, und in dem von Benicio del Toro gespielten mexikanischen Polizisten, der durchwegs Spanisch spricht, hat „Traffic“ eine ganz unvermutete Identifikationsfigur, in der Michael Douglas starke Konkurrenz erwächst. Douglas trägt trotzdem den Sieg davon, weil er gesetzt war. „Traffic“ läßt den weißen Star am Ende intakt, aber darin spiegelt sich nur das Drama, von dem erzählt wird. Es wird Sieger und Verlierer, Tote und Seelenlose geben, und allenfalls eine Zwischenbilanz.

In der letzten Szene sitzt Caroline Wakefield (Erika Christensen) in einem kalten Raum. Aus der Runde starren sie trockene Alkoholiker und andere Suchtkranke an, und ihre Eltern werfen ihr aufmunternde Blicke zu. Caroline lernt gerade, daß die Arbeit am amerikanischen Individuum, das sie einmal werden soll, mit Selbstbezichtigung beginnt. Am Ende wird sie vielleicht einen Charakterpanzer aus Lebensfreude tragen, aber zuerst muß sie noch durch jene Sektenrituale, die in den USA als Therapie gelten. Es ist das denkbar beste Schlußbild für „Traffic“: Das Individuum im Kreisverkehr des guten Willens.

Diesen Text habe ich 2000 für die "Berliner Zeitung" geschrieben, von der ersten Berlinale, von der ich als Berliner berichtet habe

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