Filme und Folgen (69)

Notizen: Mai 2024

For All Mankind Season 1

Für Weltraumepen habe ich etwas übrig. Battlestar Galactica habe ich zwar noch nicht geschaut, und auch bei Star Trek bin ich über die erste Staffel nie wirklich hinausgekommen. Einen Überblick kann ohnehin niemand haben, es gäbe da ja auch noch einige Regalmeter zu lesen. Eher zufällig oder willkürlich habe ich also in For All Mankind hineingeschaut, und war schon nach der ersten Folge komplett drin. Auf den Twist gleich zu Beginn war ich null vorbereitet: das Fernsehpublikum findet sich zusammen, um die Mondlandung zu schauen, es ist dann aber nicht Neil Armstrong, der den kleinen großen Schritt macht, sondern ein Alexei Leonov, und zwar im Namen des marxist-leninist way of life. Die Sowjetunion war also in diesem alternativen historischen Universum schneller. Die zehn Folgen von Staffel 1 erzählen davon, wie die NASA mit dieser Niederlage umgeht. Es geht viel um die Beziehung zur Politik (unter Präsident Nixon, später unter Präsident Edward Kennedy!), Wernher von Braun ist eine wichtige Figur. Entscheidend aber ist eine Parallelführung, durch die der Serientitel eine Pointe bekommt: das Rennen um die Vorherrschaft oder um die symbolisch relevanten Erstpunkte auf dem Weg in den Weltraum ist jederzeit auf den gesellschaftlichen Wandel bezogen, aus dem erst so etwas wie «mankind» entstehen kann, nämlich eine Menschheit, die ihre Unterschiedlichkeiten transzendiert (ohne marxistich-leninistische Ideologie). Der erste dieser Unterschiede ist der der Geschlechter. Es geht also sehr viel um Gleichberechtigung der Frauen, in der grummelnden Männerelite der Astronauten tauchen plötzlich Pilotinnen auf, und in einer brillanten Wendung sitzt dann ein Marihuana rauchender, pummeliger (auch durch seinen Habitus «weiblich» konnotierter) Intellektueller zwischen den Astronautengattinen vor dem Fernseher und wird beinahe zu einer melodramatischen Figur, während seine Frau Molly sich auf dem Mond in einen dunklen Krater abseilt, in dem die NASA Wasser zu finden hofft. Das technische Drama der Etablierung einer Mondstation (in Sichtweite der sowjetischen) wird mit mit einem women’s picture auf der Erde verschränkt, und zwar so, dass das eine nicht einfach die Gefühlsspur zur Science Fiction darstellt, sondern systematisch: Space Opera ohne Gleichheit auf der Erde wäre sinnloses Erobern. (Apple)

R21 (Restoring Solidarity) Mohanad Yaqubi Palästina/Belgien/Japan 2022

In Japan entstand in den sechziger Jahren, nach Auseinandersetzungen über ein Sicherheitsabkommen mit den USA, eine radikale studentische Linke, die irgendwann auch Kontakt mit der PLO aufnahm. Das führte dazu, dass von zahlreichen Filmen, die für die palästinensische Sache produziert wurden, in Japan eine Kopie aufbewahrt wurde. Diesen Bestand hebt Mohanad Yaqubi, nachdem er schon auf der Documenta 2022 unter dem Titel Subversive Films 20 Titel aus diesem Archiv der Tokyo Reels gezeigt hatte. 1982 endete mit der Besetzung Beiruts durch Israel die „Revolution“ des palästinensischen Volkes, zugleich „begann“ damals ein Archiv des Kampfes – so wird es in dem Film R21 aka Restoring Solidarity formuliert, in dem Ausschnitte aus den Tokyo Reels zu sehen sind. Die ersten 15 Jahre der Besatzung werden aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet. Eine christliche Palästinenserin verweist auf die Beispielhaftigkeit von Kuneitra, einer Stadt auf den Golanhöhen, die von Israel zerstört wurde und nun „ein Denkmal“ einer zerstörerischen Eroberungsmacht ist. Das Massaker in den Flüchtlingslagern Sabra und Shatila 1982 wird von der japanischen Off-Stimme mit Hiroshima und Nagasaki verglichen – konstituierende Opfererfahrungen. Gaza taucht auch auf und wird als „the most revolutionary and resistant spot“ bezeichnet.

In der 72-Minuten-Fassung von R21, die ich gesehen habe, bleibt vieles kursorisch und erlaubt nicht wirklich eine gültige Einschätzung. Die Tokyo Reels wurden von der „fachwissenschaftlichen Begleitung der documenta fifteen“ in ihrem Abschlussbericht wegen einer „Fülle antisemitischer und antizionistischer Tropen“ kritisiert, eine „angemessene historische Kontextualisierung“ wurde angemahnt. Diese wird in R21 in Umrissen deutlich. Man begreift die Position, die Palästina in den Logiken einer globalen, radikalen, antiimperialistischen Linken innehatte – eine Position, die es nach dem Hamas-Massaker und dem IDF-Vergeltungskrieg nun wieder in einer vergleichbaren Form gewonnen hat, als ein Schlüssel zu Kämpfen, die im Grunde dazu dienen, eine marxistische oder postkoloniale Sicht auf die Welt zu strukturieren. Yaqubi weist klar aus, dass die Filme, aus denen er Ausschnitte zeigt, militant waren, also Teil des Kampfes. Gegner im Kampf war der Staat Israel, wobei an einer Stelle ausdrücklich gesagt wird, dass nicht Juden die Gegner sind, sondern Zionisten (der Bürgermeister von Nazareth redet im Grunde einer Einstaatenlösung das Wort).

In R21 geht es wesentlich um etwas, das man heute meistens framing nennt: ein Konflikt (ein Krieg, eine Unterdrückung, ein Befreiungskampf) wird eingeordnet, er spielt nun eine bestimmte Rolle in einer größeren Auseinandersetzung. In den 1970er Jahren war Palästina so ein Schlüssel, nun ist er es wieder geworden. (ALFilm Berlin)

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