Filme und Folgen (54)

Notizen: Januar 2023

Alma’s Rainbow USA 1994 Ayoka Chenzira

Rainbow lebt mit ihrer Mutter Alma Gold in Brooklyn. Sie ist Teil eines Tanztrios, das zu HipHop neue Moves sucht, wird aber von ihren beiden Partnern nicht besonders ernst genommen – sie halten sie für einen Tomboy, ohne Titten (dabei schnürt Rainbow, in einer frühen Szene, ihre keineswegs kleinen Brüste ab, damit sie nicht auffallen). Alma ist Betreiberin eines Schönheitssalons, ein Reich der schwarzen Weiblichkeit mit allen möglichen Dialekten und Schattierungen. Für Rainbow hat sie vor allem defensive Ratschläge, sodass die Frage, mit der der Film beginnt, nur zu verständlich ist: „Mama, were you my age, when you stopped having fun?“ Dazu wird schließlich eine Vorgeschichte erkennbar, als nämlich Ruby auftaucht, die extravagante Schwester von Alma, die angeblich lange in Paris gelebt hat, und mit der Alma früher einmal kommerziell aufgetreten ist, sie waren die Flamingo Sisters. Zwischen diesen beiden Polen / Frauen sucht Rainbow nun ihren Weg. Sie möchte auch ins Showgeschäft. Der Widerstand von Alma, das Pathos der alleinerziehenden Mutter, muss überwunden werden. Der Vorname Rainbow ist auch ästhetisch Programm: Primärfarben spielen eine große Rolle, dazu die Mode der frühen neunziger Jahre, ein Handyman, der eine komische Nebenrolle hat (eine der ganz wenigen Männerfiguren in diesem Frauenkosmos, einmal muss er sich die Fingernägel lackieren lassen), trägt das verrückteste Sakko. Das Haus, in dem auch der Salon untergebracht ist, ist herrlich over the top ausgestattet, eine Gartenszene ist ein psychedelischer Flash. Die Grenze zwischen lustvollem Selbstausdruck und Selbstparodie ist von heute aus nicht ganz leicht zu ziehen, vermutlich war alles im wesentlichen ernst gemeint, zugleich werden hier wohl Traditionen der Übertreibung von Blaxploitation auf die Seite der Frauen und deren Ermächtigung geholt. Bei einer der Tanzproben vor einem Lafayette-Memorial beginnt Rainbow dann zu bluten, ihrem Coming of Age kann Alma letztlich nichts entgegensetzen, im Gegenteil deutet sich eine Öffnung auch für die Mutter an. Das Kostüm, in dem Rainbow schließlich zu einer Audition geht (sie schneidet sich dafür auch ihre Haare kurz), ließe jeden Regenbogen bleich wirken. Großartige Nummer im Abspann: Always von Jean-Paul Bourelly. (Arsenal DCP Unknown Pleasures)

Was wäre, wenn...? DDR 1960 Gerhard Klingenberg

In einem Dorf nahe der Grenze zur Bundesrepublik entsteht ein Gerücht: der Graf soll zurückkommen, die Familie Prittwitz könnte (im Rahmen eines Gebietstauschs zwischen den beiden deutschen Staaten) wieder in den Besitz des Bodens kommen, den nun verschiedene Bauern bewirtschaften, die ihn 1945 übernommen haben. Viele von ihnen sind in der Genossenschaft (LPG) organisiert, einige zögern noch, nun aber muss sich zeigen, wer auf welche Organisation des Agrar- und insgesamt Zusammenlebens setzt. Der Großbauer Dahlke ist vor allem daran interessiert, sich den Mittelbauern Gepfert bzw. dessen Land einzuverleiben, er spricht von einer Großraumwirtschaft, die eher nicht kommunistisch gedacht ist. Der Nachtwächter Ebermayr, ehemals Lakai im Schloss, ist absolut für Restitution der alten Ordnung, denn er kann dann wieder seine Livree tragen, auf die es ihm vor allem ankommt. Für die DDR war diese Komödie (auf Grundlage eines Stücks von Hedda Zinner) eine Gelegenheit, die Jahre der Durchsetzung ihrer Politik noch einmal heiter Revue passieren zu lassen. Dabei kam ihr aber ihr eigener normativer Anspruch in die Quere: die Komödie lebt von den vielen kleinen und größeren Schwächen der Menschen (vom Opportunismus bis zur eindeutigen Servilität), die DDR sah aber auf der Leinwand lieber Musterbürger. Es gab also Funktionärsbedenken gegen Was wäre, wenn...? Dabei gibt der Parteisekretär Kramer im Film sogar die didaktische Linie gelassen vor: lasst sie doch ihre Erfahrungen machen, lasst das doch eine Weile so laufen. Und so bereitet sich ein ganzes Dorf eine Weile (bis Freitag um 2) darauf vor, dass der Feudalismus wieder eingeführt wird, wogegen manche dann aber doch sind. Gepfert, die mittlere, anfangs noch unentschlossene Identifikationsfigur, hält im wichtigen Moment die große Rede: Das Land war verwahrlost, mit Nichts haben wir angefangen, und jetzt wollen einige zurück „zur Knechtsarbeit auf den Herrenäckern“? Die werktätigen Bauern von Willenshagen werden schließlich eh nicht an die BRD (an die Imperialisten) ausgeliefert. Freitag um zwei kommt nicht der Graf, es kommt die DEFA, die das Schloss als Location herrichten wollte, und damit alles ausgelöst hat – ein hübscher, selbstreflexiver Gag über die Bedeutung des Kinos als pädagogische Anstalt in der DDR, denn die Pädagogik von Was wäre, wenn ...? ist eben ein wenig vermittelter als das simple Schema vieler sozrealistischer Filme. Klingenberg fällt hier im übrigen durch eine ausgeprägte Vorliebe für Reimmontage auf: wenn in einem Dialog jemand einen Nagel auf den Kopf trifft, wird im nächsten Bild ein Nagel in ein Brett eingeschlagen, und wenn die alte Drögern von einem Pfeil redet, der treffen wird, kommt nach dem Schnitt eine Cupido-Statue, auf die der Dialog davor dann schon zurechtgeschrieben wurde. Und wenn im Wirthaus Zum Löwen der Löwe röhrt, gähnt im nächsten Bild der Briefträger, eine von vielen Faktotenfiguren in einer figurenreichen Komödie. (Zeughauskino DCP)

Einsvierzig Österreich 1980 Ulrich Seidl

Der erste Kurzfilm von Ulrich Seidl, entstanden an der Filmhochschule, eine Viertelstunde lang. Ein Porträt von Karli Wallner, einem kleinwüchsigen Mann (damals sagte man zwergwüchsig), einsvierzig ist seine Größe. Das erste Bild zeigt ihn in einem Maisfeld, er sagt einen Reim auf: Ich bin dein, mein Herz ist rein. Dann sieht man ihn mit seiner Mutter, beim Heimorgelspiel, beim Tanzen zu moderner Musik, mit seinem knatternden Puch-Dreirad („wie da Niki Lauda“), und mit Mitmenschen und Arbeitskollegen, oft in Bildkompositionen, in denen Karli im Hintergrund zu sehen ist, während vorn jemand über ihn spricht: er ist „ein wunderbarer Mensch“, „geistig hochstehend“, seine „Schwerbehinderung“ beeinträchtigt ihn nicht, er ist „a Arbeitskolleg wie jeder anderer“. In der Telefonzelle ist die Wählscheibe halt ein wenig schwerer zu erreichen für ihn. Eine Frau mit Gartenzwergen spricht auch sehr positiv über ihn. Seidl verbindet ein Interesse für das Phänomen (eine ebenfalls kleinwüchsige Frau spricht darüber, wie sie ein Kind bekam, von dem sie hoffte, es wäre normalwüchsig) mit einer Inszenierung der konkreten Person Karli Wallner, die bereits seine späteren Stilistiken (Neigung zum Tableau, Exhibitionierung) erkennen lassen. (Stream)

Kaddu Beykat Senegal 1975 Safi Faye

Ein „Brief“ aus einem senegalesischen Dorf (lettre paysanne), aus dem die Filmemacherin in die Stadt gegangen ist, und in das sie nun zurückkehrt, um zu sehen, wie das Leben dort ist: un moment chez moi. Safi Faye stößt ein wenig auf Skepsis, denn die Menschen befürchten, das Publikum könnte sich über sie amüsieren, weil sie die ganze Zeit arbeiten. Das bringt die Landwirtschaft mit sich, die extensiv betrieben wird, also in Handarbeit, mit einfachen, aber praktischen Geräten, die Frauen bauen Reis an, die Männer Hirse. Es gibt für alle Tätigkeiten Traditionen, wer wem wann hilft, zur Bereitung des Bodens wird gesungen. Erdnuss ist eine neuere Frucht, mit der sich auch eine andere Ökonomie verbindet, der Staat favorisiert Erdnüsse (als ein Produkt, das den Senegal in der Globalisierung einen Platz finden lässt, das Wort wieder allerdings kritisch verwendet), die Leute im Dorf geraten dadurch in Verschuldung und Abhängigkeiten und leiden auch unter den Pestiziden (DDT tötet). Die Kinder spielen Steuereintreiben. Das Wort „früher“ spielt eine große Rolle, nicht zuletzt in den Gesprächen der Männer am Dorfbaum. Safi Faye erzählt auch so etwas wie eine Geschichte, sie handelt naheliegenderweise von einer Ehe und von deren materiellen Grundlagen: Ngor und Coumba. Ngor muss für eine Weile in die Stadt, verdingt sich dort bei reichen Frauen als boy, der Hausarbeiten verrichten soll, dabei aber um seinen Lohn geprellt wird. Coumba wird inzwischen im Dorf krank, und von einem Marabout behandelt (purifier), er tötet ein Federvieh und macht etwas mit den Eingeweiden. Einer der Zusammenhänge: Tieropfer werden immer schwerer leistbar, für die Hochzeit von Ngor und Coumba, mit der Safi Faye endet, trifft es ein Schaf, besser wäre eine Kuh. Das Land lügt nicht, zweimal fällt dieser Satz, Trockenheit wird zunehmend zu einem Problem. Kaddu Beykat erzählt paradigmatisch von den Übergängen einer traditionellen Subsistenz-Ordnung in eine globale Ökonomie, in der Bauern in einem Dorf zugleich Bürger eines Nationalstaats sind, der auf den Weltmärkten nach Absatzmöglichkeiten sucht. Der Film selbst gehört auch in diesen Übergang, er lief 1976 auf der Berlinale. (Datei)

Reconstruction of Occupation (Rekonstrukce okupace) Tschechische Republik 2021 Jan Šikl

Panzer, die von einer kollabierten Brücke in einen Fluss gestürzt sind: die Bilder, die auch an die Ukraine 2022 erinnern, stammen aus dem Jahr 1968, als die Sowjetunion den Prager Frühling durch einen Einmarsch beendete. Jan Šikl rekonstruiert die Geschehnisse von damals, indem er Amateuraufnahmen sammelt, und durch einen öffentlichen Aufruf mit Menschen in Kontakt tritt, die sich in dem gefundenen Material wiedererkennen. Es melden sich auch nicht wenige, die selbst damals gedreht haben, verstohlen auf Fenstern hinter Vorhängen oder offen auf der Straße, wo die Panzer und anderen Militärfahrzeuge oft von Massen umlagert waren und mit Protestparolen beschrieben – ein Bild für die zwiespältige Macht, die Panzer ausstrahlen, gegen ein Graffiti können sie sich kaum wehren. Šikl gelingt einerseits ein Generationenbild, manchmal hat man beinahe den Eindrück, man spüre noch in den alten Menschen einen Rest von der positiven Energie, die der Aufbruch in der ČSSR 1968 mit sich brachte. Er erzählt aber natürlich von einer Niederlage, der Selbstmord von Jan Palach wird interessanterweise als Schlusspunkt gesehen (danach verlor die Gesellschaft jede Hoffnung), man arrangierte sich, trat in die KP ein, oder resignierte (einer liest seither keine Zeitungen mehr, und deutet querdenkerische Meinungen an). Die starke Parole „Ihr habt die Panzer, wir haben die Wahrheit“ galt nur für einen Moment der Möglichkeiten. (Triest Film Festival 2023 / DAfilms)

 

Kommentare

Einen Kommentar schreiben

Bitte addieren Sie 5 und 8.