Filme und Folgen (52)
Notizen: November 2022
Le jour ou j'ai découvert que Jane Fonda était brune (The Day I Discovered That Jane Fonda Was a Brunette ) Frankreich 2022 Anna Salzberg
Die erste Begegnung vor der Kamera zwischen Anna Salzberg und ihrer Mutter Liliane ist noch halb zum Üben. Die Tochter möchte etwas nachvollziehen, wovon sie aus der Geschichte des Engagements von Liliane weiß. In den 70er Jahren haben feministische Frauen (natürlich nicht nur) in Frankreich begonnen, ihr Engagement zu filmen, ihre Selbsterfahrungen, ihre Selbstuntersuchungen mit dem Speculum, ihre Praktiken, mit denen sie sich den Reproduktionszwängen zu entziehen versuchten (Spirale einsetzen oder herausnehmen). Daran will die Tochter nun anschließen. Der Film besteht im wesentlichen aus zwei Strängen: dem persönlichen Gespräch mit der Mutter, die ihre Tochter damals ohne Mann aufzog, und einer Begegnung mit acht Frauen der Gruppe MLAC Gennevilliers (Mouvement pour la liberté de l’avortement et de la conception), die mit Elementen von Performance und Musical an ihre damaligen Erfahrungen erinnern (zum Beispiel an den Fall einer Frau, die 1967 an einer Sepsis nach einer illegalen Abtreibung starb). Anna Salzberg kann auch auf Filmmaterial von damals zurückgreifen, vieles ging allerdings verloren. Sie balanciert persönliche und politische Geschichte gut aus, und wird auch durch die Gestaltung ihres Film zu so etwas wie der kollektiven Tochter des damaligen französischen Feminismus, oder aber: sie stellt potentiell uns alle, also auch das Publikum ihres Films, in diese Tradition. (Doclisboa Stream)
Yak Tam Katia? (How is Katia?) Ukraine 2022 Christina Tynkevych
Anna (Ania) besichtigt mit ihrer Tochter die zukünftige Wohnung. Katia soll endlich ein eigenes Zimmer haben. Noch existiert davon nur das Betonskelett. Anna ist Alleinerzieherin, sie lebt noch bei der Mutter, wie auch ihre Schwester Inga. Als Notärztin verdient sie gerade genug Geld, um sich für die Wohnung verschulden zu können. Nach einer halben Stunde Alltag mit Anna und Katia gibt es einen Verkehrsunfall, danach ist Anna allein gegen die Welt: gegen die Familie der Verursacherin, eine Tochter aus reichem Haus, von der Mutter stellt sich schließlich sogar heraus, dass sie für das Amt der Bürgermeisterin kandidiert; gegen Polizei und Justiz, deren Verfahren sie nicht ganz durchschaut; überraschend auch gegen die Schwester, die einen besonders raffinierten Plotpoint bekommt. Christina Tynkevych konzentriert sich stark auf das herbe Gesicht von Anastasia Karpenko, wählt aber auch immer wieder klug gebaute Totalen (die Kameraarbeit ist wirklich gut). Ein klassischer Sondierungsfilm: ein Individuum im Bauch der Gesellschaft. (Internationales Filmfestival Mannheim-Heidelberg IFFMH Stream)
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