Filme und Folgen (1)

Januar 2018

The Time is Now – Jetzt ist die Zeit (DDR 1987, Eduard Schreiber)

Ein DDR-Film zum Frieden, dessen Vorhaben Regisseur Eduard Schreiber nicht von ungefähr in einer Kirche zur Kenntnis bringt: es geht um die Angst vor dem nuklearen Winter, um die Menschheit als die möglichen nächsten Saurier (auf die potentiell bald ausgestorbene Gattung die Purcell-Hymne: Remember Me), um das Wettrüsten in den 1980er Jahren. Schreiber und sein Ko-Autor Rolf Richter sprechen mit einer Überlebenden von Ravensbrück, einem Toxikologen, einem General (der durch die „Militärpolitik der Partei“ von Widersprüchen befreit wird). Die Logik des Kalten Krieges (si vis pacem, para atomaren Erstschlag) in einem „Film zum Frieden“ aus dem DEFA-Studio für Dokumentarfilme, Betriebsteil Kleinmachnow, Gruppe „Effekte“, den man am ehesten als pastoral in einem zivilreligiösen Sinn bezeichnen könnte (dazu passt auch ein langer, im Zusammenhang völlig sinnloser Vortrag über Toleranz) – das DDR-Pathos, die Humanität auf der eigenen Seite zu haben (zum Beispiel auch in Gestalt der schwarzen Sängerin Etta Cameron, die dem Sozialismus den Blues zuschlägt), überwiegt heute die im Detail gewiss diffizilen Aushandlungen mit dem Regime, wer welche Ängste mit welchen Implikationen äußern durfte. Gorbatschow und Reagan machen derweil Aufundabrüstung und Weltgeschichte. (Arsenal, DEFA-Filmabend zu Ehren von Erika Richter, 35mm)

Fariaho ...! (DDR 1983, Roland Gräf)

Der fahrende Puppenspieler Sebastian Fußberg rekrutiert in einem Landgasthaus den Sohn eines ehemaligen Mithäftlings in einem Nazilager, später stößt auch noch eine junge Frau dazu. Über „Feldwege und Nebenstraßen“ geht es durch die DDR, man spielt die Legende von der Genoveva von Brabant, und kommt damit bei kleinen Kindern, bei den Arbeitern einer Baubrigade oder bei den Tanzenden in einer Konsumgaststätte nicht gut an. Fußberg ist ein Überlebender, eigentlich will er „begreiflich machen, was uns wirklich wiederfahren ist“, aber es ist sein Schüler Achim, der eine Puppe von Hitler macht. Die Außenseiterthematik umkreist eine große Leerstelle: in den Erwähnungen der Lager ist kein einziges Mal von den Juden die Rede, Fußberg selbst („Man hielt uns wohl für Zigeuner“) verwendet einmal das Wort „Mischpoche“, im Übrigen wird hier altdeutsche Außenseiterromantik auf den DDR-Antifaschismus umgeleitet, allerdings so wehmütig, dass damit keine staatstragende Ideologie gemacht werden kann. Fariaho ...! endet in Buchenwald, in einer erschütternden Szene mit viel Pathos. Es folgt etwas, was man in der DDR ein „Schwänzchen“ nannte, eine Szene für die Behörden, eine (holprige) Autobahnauffahrt in die Plattenbaumoderne von Jena. (Arsenal, DEFA-Filmabend zu Ehren von Erika Richter, 35mm, ORWO-Color)

Dark 1.4

Obwohl ein Wissenschaftler aus dem Off etwas von einem Ariadnefaden raunt, tut die Serie weiterhin alles, um dick aufzutragen und sehr weit auszuholen: Elli, die taubstumme Tochter der Dopplers (sic!), trägt auch tatsächlich Lippenstift auf und trifft im Wald einen Noah, von dem Helge, der Vater von Vater Doppler, flehentlich sagt: „Er muss aufhören.“ Durch die „Höllenschlunde des Universums“ (die Zeitsprünge, die Dark für stranger things hält) liest ein Lehrer die Wahlverwandtschaften von Goethe als Prätext für das Spiel mit Vorausdeutung und allegorischer Naturwissenschaft, das Dark gern triebe. Eine Trailer-Transe, die selbst für Twin Peaks zu bieder wäre, kennt die Schwanzkrümmung des Doppler-Vaters. Audio-Deskriptionen: „blechernes Pochen“, „unheilvolle Klänge“. (Netflix)

Das Abenteuer einer schönen Frau (Hermann Kosterlitz 1932)

Eine Bildhauerin sucht für ein Auftragswerk ein Modell, findet einen englischen Boxer, den sie für einen „Flaps“ (später für einen „Flegel“) hält, verbringt mit dem Boxer eine Nacht, und dann braucht es einen längeren Umweg über ein fast schon perfektes Leben als Alleinerzieherin (allerdings mit einer Perle), bevor Thea und Jerry doch noch zusammenfinden. Der Film macht mehr als deutlich, dass Thea auch allein gut zurechtkäme. Die Modernität nicht weniger urbaner Szenen und Milieus bricht sich großartig in dem Umfeld, in dem Thea ihre Aufträge findet: hier trifft sie auf Philister der besten Sorte, im Grunde noch deutlich auf das 19. Jahrhundert. Besonders irre Szene ein Massencasting, bei dem Thea von Mannsbildern (das Wort passt hier) auf eine Weise umlagert wird, dass man eigentlich von einer (französisch klingt es besser) mise-en-scène de partouzer sprechen muss (die Männer lassen sich dann mit Kaugummi abspeisen, der Gang Bang wird auf die Gaumenmuskeln umgeleitet). (Arsenal, Berlinale Pressevorführung, 35mm)

Unter dem Pflaster ist der Strand (Helma Sanders-Brahms 1975)

Grischa und Heinrich bleiben nach einer Theaterprobe allein in der Garderobe, werden miteinander eingesperrt, und werden bald darauf ein Paar. In dem Stück ging es um ein vorzeitliches Matriarchat. In der Beziehung ist Heinrich der Romantiker, der gern „einfach glücklich“ sein möchte, während Grischa die Sache empirisch und soziologisch angeht: sie möchte zuerst einmal von anderen Frauen wissen, wie das ist mit dem Kinderhaben und Erwerbsleben, sie fragt Frauen beim Verlassen ihres Betriebs, und so gelangt auch ein beeindruckendes dokumentarisches Interview in den Film, in dem eine junge Frau von ihrer Missbrauchsgeschichte erzählt. Die Geschlechterpolitik war immer eine der Sollbruchstellen von 1968, das wird hier einmal mehr deutlich. Obwohl nominell ein Spielfilm, ist das auch ein unbezahlbares Dokument: die Lebensverhältnisse der Post-68er, das West-Berlin der frühen 70er sind hier in Schwarzweiß aufbewahrt. (Arsenal, DCP)

Dark 1.5

Da habe ich mir anscheinend nichts gemerkt. (Netflix)

Dark 1.6

Die symbolische Überfrachtung in Dark (mythologische Starkstromwende?) führt in eine Öffnung, in die sich nur Jonas traut. Winden hat nämlich ein Loch. Und eine völlig überdimensionierte Polizei. Auf einer Tür (einem Portal) steht ein lateinischer Satz (Hic mundus creatus est), ein Mädchen spinnt den Ariadnefaden. Früher war der Regen sauer, irgendwie hat alles auch mit Tschernobyl zu tun, aber auch „das damals im Wald“? Dialog: (Frau schreckt auf, Mann sitzt schon sorgenvoll neben ihr im Bett): „Das war nur ein Alptraum.“ „Sag mir, dass alles okay ist.“ „Es ist alles okay.“ Audio-Deskriptionen: unheimliches, leises Dröhnen; dissonantes, lauter werdendes Summen; finstere Klänge. Blechernes Pochen. Conclusio: Folge dem Signal. (Netflix)

Dark 1.7

Jonas, der im Jahr 1986 ungefähr minus 17 Jahre alt ist, beobachtet eine Urszene der besonderen Art: den Moment, in dem seine Eltern einander (er)kennenlernen. Der demente Helge Doppler erinnert sich an alles. Das AKW hat Winden verändert (Feststellung). Deine Rolle in all dem ist viel größer, als du denkst. Jonas kommt zurück zur Mutter. „Wo warst du denn?“ Antwort: „Glaubst du an Schicksal?“ Die Serie trägt weiter sehr dick auf, allmählich bin ich gespannt, welches von den vielen Motiven sie auch einlösen wird. Am Ende macht Marc Waschke den erkenntnistheoretisch tätowierten Zeitdehnungsmuskel in das Jahr 1953, das im Jahr 1986 33 Jahre alt sein wird. Audio-Deskriptionen: Musik wird zunehmend dissonant. Sphärischer, sakraler Gesang. (Netflix)

Dark 1.9.

Alles ist jetzt, also auch die Folge 8, zu der ich nichts notiert habe. Kommt eh alles wieder. Die Männerstimme reklamiert unser Interesse für „die größten aller Fragen“ (darunter tut es Dark nicht). Düstere Klänge. Mechanisches Klappern. Die Zeitmaschine erinnert an den Vorspann von Game of Thrones. Spannungsvolles Ticken (1986). Schmerz und Chaos. Wir sind falsch. Die Großmutter von Bartosz kommt über die Terassentür. Sie soll wohl ein Wurmloch zu Twin Peaks aufmachen. Alles ist jetzt wirklich überdeutlich abgekupfert. Noah macht sich lächerlich. (Netflix)

Falaknaz (Sahar Sahabshoor, 2017)

Das Porträt einer Frau in dem iranischen Dorf Fat’h-Abad: Falaknaz Raiisi ist nach allen anderen als strikt biologischen Kriterien ein Mann. Die Kinder haben auch immer „Vater“ und nie „Mutter“ zu ihm gesagt. Im sozialen und politischen Leben hält Falaknaz es mit den Männern. Ein Jahr lang (und dann noch einmal in einem Frühling drei Jahre später) hat das „city girl“ Sahar Sahabshoor mit Falaknaz gedreht – bei der Weizenaussaat auf einem kaum noch Ertrag verheißenden Boden, bei den Vorbereitungen einer Wahlveranstaltung für einen Politiker, im Familienkreis. Falaknaz wurde mit 15 Jahren an einen 35 oder 45 Jahre (genau weiß sie es nicht) älteren Mann verheiratet. Die Töchter sollen nicht aus dem Haus gedrängt werden. Drei Jahre später haben beide eine Entscheidung getroffen. Und Falaknaz hütet weiterhin Schafe. „Falaknaz is her own representative“, sagt ein Mann aus dem Dorf einmal über sie/ihn – diesen Satz löst der Film auf verschiedenen Ebenen großartig ein. (vimeo)

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