Filme und Folgen (31)

Notizen: Februar 2021

Endzeit Christina Hellsgard 2018

Postapokalypse einmal ein bisschen anders: nach einer Seuche herrscht weltweit Zombie-Alarm, nur zwei Enklaven konnten sich behaupten, ausgerechnet die deutschen Städte Weimar (wo man alle Infizierten tötet) und Jena (wo man ein Heilmittel sucht). Die Geschichte beginnt in Weimar am Zaun, der den gesicherten Bereich markiert. Vivi und Eva treffen hier aufeinander, zwei sehr unterschiedliche junge Frauen. Sie kommen wieder zusammen, weil sie unabhängig voneinander nach Jena wollen. In der offenen, ungeschützten Natur schlagen sie sich durch, zugleich wird ihre Vorgeschichte erkennbar (Drehbuch: Olivia Viewegh). Vivi leidet stark unter dem Schuldgefühl, überlebt zu haben (im Gegensatz zu ihrer kleineren Schwester), Eva gibt sich als starke Frau, wird aber auch von Gespenstern heimgesucht. Die Zombie-Angriffe werden eher angedeutet, wobei es durchaus drastische Momente gibt. Jena bleibt letztendlich nur ein Horizont im Vergleich zu dem Quasi-Faschismus im Weimarer Ausnahmezustand. Vivi und Eva suchen einen dritten Weg in Richtung Naturromantik und Erdmütterlichkeit. (Arte Mediathek)

Fabian Wolf Gremm 1980

„Ich lebe“, antwortet der Werbetexter Jakob Fabian auf die Frage nach einem Nebenberuf, mit der ihn sein Chef konfrontiert. Er strahlt eine provozierende Leichtigkeit aus, er hat „keinen Ehrgeiz“, vielleicht auch deswegen, weil er davon überzeugt ist, „dass wir im Irrsinn leben“. Es ist in etwa die Zeit, die Babylon Berlin zuletzt mit einer Erzählung überschrieben hat, die Erich Kästners Roman Der Gang vor die Hunde offensichtlich eine Menge verdankt. Fabian ist einer, der meistens eher dabei als mittendrin ist (ein Mann ohne große Eigenschaften, um ihn auf Musils paradigmatische Figur zu beziehen), er kommt aber auch weit herum in der Stadt, er kennt die Etablissements, in denen sich die Erotik gesellschaftliche Formen gibt, er trifft aber auch im Park einen alten Mann, der sich als großer Erfinder ausgibt (und als Gefahr für die Arbeiter, für deren Aufgaben er Maschinen erfindet, die er also in die Armut rationalisiert). Fabian nimmt den Mann mit zu sich in das Zimmer, das er bei der Wirtin Hohlfeld (Mira Lobe) hat, und gewährt ihm Quartier für eine Nacht und ein (sanft situationskomisches) Frühstück.

Fabian (Hans Peter Hallwachs) ist groß, schlank und Abenteuern nicht abgeneigt. Er verliebt sich sogar, in eine Zugezogene, die zufällig auch bei Frau Hohlfeld residiert, man kann sich also in der Badewanne treffen, deren Nutzung beiden zusteht. Cornelia lässt ihn dann aber für eine Filmkarriere sitzen. „Die Trägheit des Herzens“ nennt Fabian einem befreundeten Journalisten gegenüber einmal als mögliche Überschrift über die Situation Deutschlands, die er erlebt. Fabians Gelächter, als er bei einem Schusswechsel zwischen einem Kommunisten und einem Nazi auch den Nazi verwundet vorfindet (mit einem „Steckschuss in den Arsch“), vergeht ihm schließlich aber doch, nachdem sein Freund Labude sich das Leben nimmt, aufgrund eines Missverständnisses: ein akademischer Kollege hatte ihm bedeutet, seine Habilitationsschrift wäre abgelehnt worden. An dieser Stelle erst lässt der Film erkennen, dass Fabian in Literatur bewandert ist, und dass er einschätzen kann, dass Labudes Arbeit „Lessing in einem ganz neuen Licht“ erscheinen ließ. In der Provinz seiner Herkunft, in die Fabian sich schließlich zurückzieht, wird er endgültig als Büchermensch erkennbar, der auch ein Kalender-Zitat von Jean Paul sofort geläufig hat: seine Mutter ist Buchhändlerin und/oder Bibliothekarin und verwaltet einen riesigen Bestand. Im Roman haben die Eltern ein Seifengeschäft in Dresden, Gremm und Hans Borgelt haben da also eine Änderung vorgenommen.

Nicht zuletzt mit der Musik von Charles Kalman hat es zu tun, dass das Taugenichts-Motiv ein bisschen zu prominent ist. Fabian war zu seiner Zeit wohl so etwas wie ein großer historischer Film, ein kommerzieller Versuch unter den Bedingungen des Neuen deutschen Films, mit einigen großen Szenen, einiges auch im Studio gebaut und gedreht. Das Babylon Berlin von 1980, erwies sich aber als weniger kanonisch.

Wonder Woman Patty Jenkins 2017

Die Geschichte von Prinzessin Diana von der Insel Themyscira hat eine schöne mythologische Struktur: Wonder Woman wächst in dem Glauben auf, das Weltgeschehen (von der sie im Paradies zuerst gar nichts weiß) wäre so beschaffen, dass Götterkämpfe darüber entscheiden. Sie gerät also, an der Seite des irdischen Helden Steve Trevor, in den Ersten Weltkrieg unter den Bedingungen des Missverständnisses, sie würde dort Ares finden, den sie dann nur (mit dem Schwert Godkiller) erledigen muss, um Frieden auf Erden zu schaffen. Dass sie Ares auch noch mit Ludendorff verwechselt, ist eine Pointe in der Pointe. Als Ares sich schließlich dann doch noch zu erkennen gibt, bestätigt sich das Superheldengenre als heutige epische Erzählform, die mit den Bildern des Krieges in einem Dorf aber doch kurz auf ihre andere Seite schaut, auf das millionenfache Leiden und auf Mut und Tapferkeit der kleinen Leute. Dann packt Diana aber ihren Schild aus, und marschiert kugeldeflektierend voran. Glaubten die Griechen ihre Mythen?, hat Paul Veyne mit einem Buchtitel einmal gefragt. Wonder Woman stellt die für heute entsprechende Frage: Glauben die Superhelden an (sich als) Götter? Aber ja.

Fauna Nicolás Pereda 2020

Luisa und ihr Freund Paco fahren in ein entlegenes Dorf in Mexiko, um ihre Eltern zu besuchen. Obwohl es dort eine Bar gibt, sieht vieles nach einer Geisterstadt aus. Auch Gabino taucht auf, der Bruder von Luisa. Paco will noch schnell Zigaretten kaufen, bekommt aber keine, trifft dann auf der Straße einen Mann, der ihm eine Packung stark überteuert für 100 Pesos anbietet, und als Paco einwilligt, aber nur einen Zweihunderterschein hat, hat er plötzlich sogar zwei Packungen im Angebot. Es ist der Vater von Luisa, wie sich dann gleich herausstellt. Fauna ist eine Komödie in Andeutungen, in der die Beziehungen der Figuren von einem merkwürdigen Unbehagen gezeichnet sind: alles ist ganz leicht daneben, neben einem Verhalten, das man als erwartbar bezeichnen könnte. Paco, wie Luisa von Beruf Schauspieler, soll zeigen, wie er eine Szene spielt. Da er in der Serie Narcos aber keinen Dialog hat, muss er eine Rolle improvisieren, für die er gar nicht das Format hat. Nach der Hälfte wechselt Pereda die Ebene: Gabino liest ein Buch, in dessen Fiktion wir nun eintreten, wobei charakteristisch unklar bleibt, ob das nun eine Vorstellung von Gabino ist, dessen Lektüre lebendig wird, ober ob es sich um eine (mögliche) Filmadaption der Geschichte des Buches handelt. Die Figuren von davor treten nun in (anderen) Rollen auf, in beiden Fällen kommt aber nichts zu einem Ende, sondern bleibt in der Vorläufigkeit eines Buchs, mit dem man eben noch nicht durch ist. Pereda treibt ein subtiles Spiel mit den Tropen des Thrillers und der Familienkomödie, und lässt eine Erzählung, von der man herkömmlich Ende und Anfang erwartet, wie ein aufgeklapptes Buch offen. (Woche der Kritik)

Subida al cielo Luis Bunuel 1952

Ein großartiger kleiner Film über die Unmöglichkeit, mit einem Bus (mit einer Erzählung) einfach von A nach B zu kommen. Oliverio soll die Hochzeitsnacht mit seiner Albina auf der Hochzeitsinsel verbringen, so will es der Brauch in dem mexikanischen Dorf, das anfangs von einem Erzähler im Ton eines Wochenschau-Sprechers vorgestellt wird. Schon diese Insel erweist sich als (vorerst) unerreichbar, das Ruderboot wird eingeholt, Oliverio muss dringend zu seiner Mutter, die liegt im Sterben und will das Erbe klären. Sie hat ein Haus in der Stadt, das soll ihr Neffe Cucho bekommen, damit der studieren kann und es einmal besser hat als die Cousins, Oliverios Brüder, die im Wirthaus schon die Güter der noch lebenden Mutter unter sich ausmachen. Oliverio soll nach Petatlan fahren, um von dort einen Anwalt mitzubringen, damit alles seine Ordnung hat. Die Fahrt im Bus macht den Hauptteil des kurzen Films aus, inklusive ein paar lustiger, im Studio gedrehter Szenen, in denen die Straße sehr steil wird – das ist dann der Aufstieg zum Himmel, den der Filmtitel erwähnt. Unter den Passagieren: Raquel, eine lokale Schönheit, die unbedingt Oliverio verführen will; ein Politiker mit umgeschnallter Pistole; ein enteigneter Gutsbesitzer; und noch viele andere Originale.

Auch der Busfahrer, zugleich Busunternehmer, hat eigene Ziele. Er macht zwischendurch zu Hause einen Stop, um den Geburtstag seiner Mutter zu feiern, was sich zu einer „typisch mexikanischen Fiesta“ entwickelt, zu der zufällig auch ein anderer Bus mit einer Ladung amerikanischer Touristen stößt. Komischer Höhepunkt und Gegenpart zu den Verkehrsproblemen im Hochgebirge ist die Durchquerung eines Flusses, bei der der Bus natürlich steckenbleibt, woraufhin die Frage ist, ob ein Traktor oder ein paar Ochsen besser geeignet sind, ihn abzuschleppen. Bunuel packt einfach Idee auf Idee, und schafft so einen scheinbar naiven, im besten Sinn volkstümlichen, anarchischen Film, eine Art Erzähldschungel (einmal wächst der Dschungel buchstäblich in den Bus!). Und am Ende gibt es eine bitterböse Pointe, die doch alles richtigstellt, sodass sogar der Weg zur Hochzeitsinsel wieder frei scheint.

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