Filme und Folgen (26)
Notizen: September 2020
Devs (2020, Alex Garland)
Eine monumentale Skulptur in der Landschaft gab es auch schon in Watchmen. Hier stellt sie ein Kind dar, und steht weithin sichtbar für die gescheiterte Trauerarbeit eines Tech-Unternehmers: Forest hat Frau und Kind durch einen Verkehrsunfall verloren. Nun hat er einen Computer gebaut, von dem sich im Verlauf der acht Folgen von Devs erst allmählich herausstellt, was er mit seiner enormen Rechenleistung eigentlich kann. Dabei fallen die ersten vier und und die weiteren vier Folgen deutlich auseinander: spannend ist vor allem, wie Lily Chan und ihr Ex-Freund Jamie sich diesem goldenen Forschungsreaktor nähern.
Devs (die Pointe, dass das nicht nur developments heißt, sondern auch DEVS, also Deus/Gott, lag für jeden halbwegs versierten Asterix-Leser früh nahe) ist ein mysteriöses Labor, das zu Beginn ein Todesopfer fordert, den boyfriend von Lily. Sie gerät in einen Psychokrieg mit dem Sicherheitschef der Firma. Währenddessen nehmen auch die Spannungen unter den Hochbegabten (de facto muss man sie als Medien begreifen) im Inneren von Devs zu. Höhepunkt der Rechenleistung ist ein virtueller Auftritt von Jesus, der ein paar Brocken in seiner Muttersprache Aramäisch hören lässt. Dass die ganze Sache mehr oder weniger auf ein datenbasiertes Jenseits und auf Zeitreisen hinausläuft, erschien mir zum Ende hin trivial, als hätte Alex Garland die eigentliche Brisanz des Silicon Valley sentimental verfehlt.
Mathilde Möhring / Ich glaube an dich (D 1945 / DDR 1950 / BRD 1952, Rolf Hansen)
Ein „Überläufer“, so nannte man Filme, die beim Zusammenbruch von NS-Deutschland noch nicht ganz fertig waren, und dann mit Verspätung herauskamen. Vorlage ein nachgelassener Roman von Fontane, der damals nur in einer editorisch dubiosen Fassung vorlag. Trotz allem ein hochinteressanter Film. Im Mittelpunkt steht ein Mann namens Hugo, der einfach in den Tag hinein lebt. Hansen stellt ihn durch eine Kontrastfigur vor: Hans Ribbeck ist am Morgen vor der Prüfung (nicht der eigenen, sondern der des Freundes und Kollegen) so nervös, dass ihm der Kragenknopf wegspringt. Hugo Großmann hingegen liest während der Morgenrasur noch einen Liebesroman, und beschäftigt sich dann während des Referendariatsexamens vor allem mit einem Marienkäfer. Erwartungsgemäß fällt er durch, Hansen macht daraus allerdings durch Parallelmontage eine kleine Spannungsszene, zu der auch der Wirt beiträgt, der bereits das Feierbier auftragen möchte. Großmann sucht für weiteres Bummelstudium ein bescheidenes Zimmer, und kommt zu Mutter und Tochter Möhring, die einen Gemüseladen betreiben. Dass er und Mathilde zueinander passen würden, liegt sofort nahe, sie muss ihn nur erst noch auf Kurs bringen. Eher aus Gutmütigkeit lässt er sich zu Vorbereitungen für einen zweiten Versuch beim Examen bewegen, das er dann auch besteht.
Mathilde hat schon den nächsten Schritt für ihn parat: er soll sich auf eine Bürgermeisterstelle bewerben, in Wodenstein, in einer aufstrebenden Bürgerstadt zwischen Rittergütern. Zu diesem Zeitpunkt ist die Nonchalance von Hugo schon ein echtes Rätsel, eigentlich das zentrale Rätsel des Films: Wie kann jemand sich so dem bürgerlichen Streben entziehen, das bei Mathilde, die in der muffigen Welt des Ladens lebt und mit ihrer Mutter ein sehr altdeutsches Schlafzimmer teilt, doch der wichtigste Antrieb ist? Nach sechzig Minuten könnte der Film (mit dem ersten richtigen Kuss) auch schon vorbei sein, denn in diesem Moment ist aus der (aus Sicht von Mathilde) Vernunftehe eine Liebesehe geworden, der Schaukelstuhl im Bürgermeisterhaus steht nun auch ihr zu, denn sie hat Hugo den Müßiggang ausgetrieben.
Später (nach einer Katastrophe) wird sie sich aber ausgerechnet an den Hugo liebevoll erinnern, der auch auf dem Weg zur Arbeit noch eine kleine Geste der Distanz zur Betriebsamkeit erkennen lässt. Ein Bartleby wird damit nicht gleich aus ihm, und doch ist dieser Hugo Großmann eine spannende Differenzfigur zu der bürgerlichen Leistungsethik. Einge schöne Berliner Milieuszenen mit Mutter Möhring und Frau Koblank. (Zeughauskino in der Filmreihe Überläufer, 35mm)
Vielweiberei (Das Dementi) (Karl Anton, 1944/1950)
Eine Komödie über das Leben in einem modernen und „freizügigen“ Wohnhaus mit Paternoster. Grundlage war ein Lustspiel mit dem Titel Das Dementi von Utz Utermann. Der Film sollte ursprünglich Vielweiberei heißen, wurde aber vor Kriegsende nicht mehr fertig - hätte man ihn noch gezeigt in den Monaten der Zerstörung, es wäre vielleicht zu einem Aufstand gekommen. Denn das „Unpolitische“ an diesem Unterhaltungsfilm ist anstößig, er ist vollkommen abgedichtet gegenüber den Realitäten seiner Produktionszeit.
Axel von Ambesser spielt den Bankbeamten Hans Schmidt, der sich auch als Maler versucht. Die Architektur liefert ihm ein Motiv frei Haus: auf einem Balkon unterhalb seines Fensters sonnt sich gern eine junge Frau, und zwar offenkundig unbekleidet, vor Blicken geschützt nur durch ein Buch. Das Bild macht Furore, und erregt auch die Aufmerksamkeit des Versicherungsagenten Max Schmitt (Günther Lüders, deutsche Pedantenphysiognomie in Perfektion). Auf dem winzigen Unterschied zwischen den Namen beruht ein Großteil des Witzes. Der Maler Schmidt hat ein Problem: er ist gutmütig, und so ergibt es sich, dass er an einem Tag zwei Frauen die Ehe verspricht, und deswegen am Abend zwischen zwei verschiedenen Verlobungsfeiern (mit ständig wachsender Besucherschar) hin und her eilen muss. Er plant auch mit beiden Frauen eine Italienreise am nächsten Morgen.
Wären nicht die historischen Umstände, könnte man das alles als nicht uninteressanten Versuch nehmen, in das deutsche Kino ein wenig (triviale) Freizügigkeit einzuführen: das Ende mit zwei Paaren in einem Eisenbahnabteil spielt mehr als nur verhohlen auf Partnertausch an, und die ganze Anlage des Wohnhauses mit seinen – heute würde man sagen: – Singlewohnungen will nicht mehr viel wissen von traditionellen Familien, geschweige denn Mutterkreuz. Im übrigen ist Vielweiberei vermutlich der einzige Film, dessen erstes Wort Muschi ist: ein Hundename. War eine andere Bedeutung des Wortes damals schon geläufig? Vermutlich doch. (Zeughauskino, 35mm, im Rahmen der Reihe Überläufer)
Geld ins Haus (Der Millionär) (Robert A. Stemmle, 1945/1947)
Eine Paraderolle für Hans Moser: Er spielt den Briefträger Leopold Habernal, der in einer Kleinstadt am Inn mit allen Menschen bestens vertraut ist. Als er eine unerwartete Erbschaft macht, wird er aus seinem Trott geworfen, er muss sogar seine Arbeit, seinen ganzen Lebensinhalt, aufgeben, weil er sie als reicher Mann doch nicht mehr braucht, wie man ihm deutlich zu verstehen gibt.
Gedreht wurde in Prag im Studio, rund um Moser viel kongeniales Personal: Annie Rosar als seine Wirtin (mit der er sich nach vielen Jahren als Junggeselle plötzlich sogar eine Reise vorstellen kann, das Geld belebt also seine erotische Imagination, die Szene ist bezeichnenderweise aber eine beim Budgetieren, also bei der Führung eines, vorweggenommen: gemeinsamen Haushaltsbuchs), Oskar Sima als Drexler, der reiche Mann am Ort, der gegen die Erbschaft klagt, Hans Holt als Komponist, der das Mädchen bekommt, das Drexler sich durch finanzielle Erpressung sichern möchte.
Leopold Habernal ist wie so viele Figuren von Hans Moser ein österreichischer Stereotyp par excellence: bürokratisch bis zu dem Punkt, dass er den eingeschriebenen Brief, der an ihn als Privatperson gerichtet ist, nicht aufmacht, während er in Uniform ist; „bescheiden“ unter der Voraussetzung seiner doch beträchtlichen Bedeutung als Brief- und Geheimnisträger; die einzige Leidenschaft neben dem Beruf ein Gesangsverein. Toll auch der Hintergund der Erbschaft: eine Jugendliebe wurde in Mexiko als Tänzerin reich, sie kannte Hans Moser also auf eine Weise, auf die ich ihn mir nicht vorstellen kann, als jungen Mann. (Zeughauskino, 35mm, im Rahmen der Reihe Überläufer)
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