Filme und Folgen (25)

Notizen: August 2020

Coronation (2020, Ai Weiwei)

Eine Remote-Dokumentarfilm, gedreht von Menschen vor Ort, zum Teil offensichtlich mit versteckter Kamera, während Ai Weiwei aus dem Exil die Gesamtleitung übernahm. In erster Linie beeindruckend, wie er die Stimmung in Wuhan in diesen Monaten der Quarantäne evoziert: das Paar, das von auswärts in die abgeriegelte Stadt zurückkehrt, in eine verschneite, nahezu menschenleer wirkende Millionenstadt, die auch immer wieder mit Drohnenkamera in den Blick kommt. Eine Metropole, mit der sich bis vor wenigen Monaten keinerlei Mythos verband. Eine extrem lange Kamerabewegung folgt einem Arzt durch die Korridore des Plastikkrankenhauses, das eigens für Corona-Patienten gebaut wurde. Das Ausziehen der Schutzkleidung nach der Arbeit hat etwas von einer unüberwindbaren Schleuse, begleitet von einer Stimme aus dem Off, die jeden Schritt vorgibt, ein Überwachungsbild mit Live-Performance.

Einer der Arbeiter, die das Krankenhaus gebaut haben, sitzt nun in Wuhan fest, nachts in einer Großgarage wird er zu einem der Protagonisten des Films, nun schon vergessen von den Behörden. Das Klischee, dass China in wenigen Jahrzehnten von einer Agrargesellschaft in einen Science-Fiction-Film übergegangen ist, wird hier sehr konkret: die Desinfektionsmaßnahmen wirken jedenfalls wie Vorboten eines totalen Sanitärregimes. Coronation lässt sich keine Tendenz in seiner Einschätzung der KP-chinesischen Politik anmerken: das Generalstabsmäßige des Vorgehens ist die sichtbare Signatur des Films, es kommen aber eben auch einzelne Menschen mit ihren Erfahrungen und Klagen zu Wort. Bedeutsames Detail: die Urne eines verstorbenen Patienten darf nicht an einen Angehörigen gegeben werden, sondern nur an jemand von der „work unit“. (vimeo on demand)

Macho Callahan (1970, Bernard L. Kowalski)

Dieser Western interessierte mich, weil ich sehen wollte, was aus Anne Revere (A Place in the Sun) wurde. Sie soll hier eine Nebenrolle namens Crystal spielen, tauchte allerdings in der Version, die ich sah, nicht auf. Ich fand nämlich nur eine DVD mit deutscher Synchronisation, falschem Bildformat, merkwürdig dreidimensionaler Dolby-Tonspur(überarbeitung), und gute sieben oder acht Minuten kürzer als die originalen 99. Trotz der Mängel hat sich die Sichtung gelohnt. Die Geschichte beginnt 1864 in einem Gefangenenlager der Konföderierten in Texas (tolle Location). Diego Callahan wird aus einer offenkundig entsetzlichen Einzelhaft herausgeholt, und kehrt in die Masse der Internierten zurück. Er erweist sich als Rädelsführer eines Ausbruchs, den er mit Hilfe einer Bombe in die Wege leitet: eine starke Massenszene.

Danach sehen wir ihn in einem Kaff (Junction City) wieder, wo er seine einjährige Abwesenheit erklären soll. Wegen einer Flasche Champagner (!) erschießt er den Offizier David Mountford (David Carradine), dessen Frau Alex(andra) schwört Rache. Callahan hat ebenfalls eine Rechnung offen, mit Duffy (Lee J. Cobb), der ihn ein Dokument unterschrieben ließ, das ihn zum Dienst in der Confederacy verpflichtete. Callahan kann nicht lesen, das bleibt ein Leitmotiv im Film. Die Sache mit Duffy wird schnell geklärt, bald darauf treffen Callahan und Alex in einer großen Spielhölle wieder aufeinander, wo sie damit Geld verdient, für die vorwiegend illiteraten Männer Briefe zu schreiben. Sie hat ein Kopfgeld auf Callahan ausgesetzt, reitet ihm aber nach einer Massenschlägerei allein nach. Sie sind nun zu dritt: Callahan (durch seinen Vornamen als Halb-Mexikaner ausgewiesen), dessen Freund Juan (Mexikaner), und sie.

Der Versuch von Alex, Callahan mit einem Schürhaken zu erschlagen, wirkt halbherzig, er zweifelt hinterher auch die Ernsthaftigkeit ihrer Tat an. Er wehrt sich, und überwältigt sie. (Die Vergewaltigung, von der in den Synopsen die Rede ist, fehlt in der DVD-Version, wobei unklar ist, ob die in eine Ellipse gehört, ins Implizite, oder ob wahrscheinlich hier für die deutsche Verleihkopie geschnitten wurde.) Alex bleibt bei Callahan und Juan, und entschließt sich schließlich sogar dazu, mit ihnen nach Felicidad zu reiten – ein Sehnsuchtsort mit eindeutigem Namen, an dem die Grausamkeiten, von denen diese Geschichte von Beginn an geprägt ist, ein Ende haben könnten.

Sie sehen Felicidad schließlich auch noch, allerdings ist ihnen da schon die Posse nahe, die das Kopfgeld verdienen will, das Alex ausgesetzt hatte. Ein Fall von tragischer Ironie. Sie und Callahan bekommen eine Gnadenfrist, eine romantische Nacht unter freiem Himmel. Dann bekommt Callahan, was er wohl eben nicht verdient hat, obwohl er viel Schuld auf sich geladen hat. Und Alex bekommt eine Rache, an der ihr nichts mehr gelegen ist. Männliche Hauptrolle David Janssen, Star aus der Serie The Fugitive. Alexandra, am Ende mit kurzen Haaren, aber aus anderen Gründen als in À bout de souffle: Jean Seberg.

Signs Season 1 (Znaki) (Przemyslav Hoffmann, Blazej Przygodzki, 2018)

Ein polnisches Kleinstadtpanorama mit allen erdenklichen Themen: ein neuer Kommissar ist auf den Posten im idyllischen Südwesten abgeschoben worden, weil er ein Alkoholproblem hatte; er kommt mit Teenager-Tochter. Ein Frauenmord wird seine erste Aufgabe. Die Figuren: der Bürgermeister mit Hakennase macht mit einem Unternehmer bei einer Bergbauunternehmung gemeinsame Sache, bei der Leichenreste aus einem ehemaligen deutschen Lager auftauchen; ein Frömmler schart die Außenseiter aus der Gegend um sich; die Tochter des Bürgermeisters schlägt bei einem nächtlichen Kampf ein anderes Mädchen krankenhausreif; ihr Freund verkauft die Nazireste an einen deutschen Sammler; ein neuer Pfarrer zeigt bei Klimmzügen seinen athlesketischen Körper, und hört im Beichtstuhl so ungeheure Sachen, dass er fast an Gott irre wird; eine „Hexe“ läuft als wandelndes (kollektives) schlechtes Gewissen herum.

Alles löst sich gerade so weit nicht auf, dass einer zweiten Staffel nichts im Wege stand. Ich hab doch alle acht Folgen der ersten geschaut, wegen der Landschaft, und weil es leidlich interessant war. Tolle Schauspielerin: Helena Sujecka. (Netflix)

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