Filme und Folgen (23)

Notizen: Juli 2020

Babylon Berlin Season 3

Die Staffel fing gut an mit der großzügigen Entfaltung der verschiedenen Vorhaben: der Volker-Kutscher-Krimi in der Filmwelt als saisonale Angelegenheit, dazu die Abteilung Gennat in soziologischer Vielfalt, und über allem der große Bogen, die nationalkonservative Verschwörung, die noch meint, mit den Nazis nicht viel zu tun zu haben. Dass die ganze Staffel auf eine ziemlich schockierende last minute non rescue hinausläuft, bevor es dann dem vergleichsweise primitiven, auf verzögert eintreffende Nachrichten aus Amerika angewiesenen Weimarer Kapitalismus an den Kragen geht, das macht sowohl als Cliffhanger wie als Orakel viel Sinn.

Meine sentimentale Lieblingsszene war die Geburtstagsfeier bei Gräf, zu der auch Gennat erscheint (Teamgeist), und auf der es ein paar zwischenmenschliche Annäherungen gibt. Weniger überzeugend fand ich einen gewissen Hang zur Ausmalung des Babylonischen an Berlin 1929, besonders daneben erschien mir ein faschistischer Gang Bang, den Charlotte auf sich nimmt, um ihre Schwester vor der Erblindung zu bewahren: das war Sadocaligarismus, der sich vor allem an seiner vermeintlichen Gewagtheit weidet. Insgesamt ist mir die Sexualität in der Serie ein bisschen zu heutig-programmatisch: dass Gereon Rath für Begehren aus allen Richtungen anschlussfähig ist (und gelegentlich mit Gräf homosozialisiert), macht vieles aber wieder gut. Gespannt bin ich in diesem Zusammenhang darauf, wie es mit Toni, der jüngeren Schwester von Charlotte weitergeht. (Sky)

I Was a Male War Bride (Howard Hawks 1949)

Ein in höchstem Maß erstaunlicher Film. Cary Grant spielt Henri Rochard, einen französischen Offizier im besiegten Deutschland. Rochard bekommt für eine Mission eine amerikanische Kollegin zugeteilt, Catherine Gates, er kennt sie von früheren Einsätzen, hat sich wohl mit seinem „französischen“ Schürzenjägertum einen schlechten Ruf eingehandelt. Er ist aber auch abgeblitzt, und hat das schlecht verkraftet. Die siegreiche amerikanische Armee in Deutschland besteht im Wesentlichen aus Frauen; Männer tauchen nur in der Materialausgabe auf. Die Mission von Rochard und Gates führt nach Bad Nauheim, den Weg dorthin legen sie in einem Motorrad mit Beiwagen zurück, Rochard sitzt im Beiwagen. Die Liebesgeschichte muss den Widerstand ihrer (in Österreich würden wir sagen:) Aufgelegtheit überwinden. Rochard und Gates küssen einander, um zu demonstrieren, dass sie gut küssen können. Liebe als Kompetenzbeweis in Sachen Liebe.

Damit sind sie ein Paar, nun aber kommen erst die Hindernisse: zuerst (aus formalen Gründen) drei Trauungen, dann fällt die Hochzeitsnacht aus, denn Catherine soll zurück in die Staaten. Ihr Mann kann nicht so ohne Weiteres mitkommen. Die einzige prompte Möglichkeit bietet eine Regelung für „war brides“: „if that’s the only form so let’s fill it out“. Form hier in allen Dimensionen des Begriffs. Von diesem Moment an wird konsequent komisch alles durchgearbeitet, woraus sich zwischen geschlechtsneutraler Bezeichung („spouse“), geschlechterdeterminierender Sprache („bride“) und äußerem Anschein vor dem Hintergrund einer insgesamt verkehrten Welt Gags machen lassen. Der ständige Aufschub des Ehevollzugs ist erst überstanden, nachdem Rochard dann auch noch tatsächlich zumindest in Verkleidung zur Frau wird (mit Hilfe von Pferdehaar, „at least cut if off the mane“, es könnte auch der Schwanz, pardon: Schweif sein). Man könnte eine ganze Kulturgeschichte von Anstandsregeln schreiben am Beispiel dieses Films: Voraussetzung ist in jedem Moment, dass der eheliche Akt erstens natürlich durch die Ehe geborgen ist, dass aber auch in Notsituationen und Massenlagern (Hawks drehte on location und fing in manchen Szenen recht plausibel die großen Wanderungsbewegungen nach dem Krieg ein) niemals ein Mann neben Frauen schlafen darf – Jahre vor der metaphysischen Obdachlosigkeit ist Rochard ein Beispiel für sexuelle Obdachlosigkeit. Toll auch, wie direkt am Ende die Erlösung aus den Verwirrungen als Exzess impliziert wird (sie werden, könnte man sagen, straightened out): der Aufschub wird durch sieben Tage und Nächte nichts als Sex aufgewogen.

Uptight (Jules Dassin 1968)

Dieser Stoff hat einen großen Sprung gemacht: aus Irland 1922 (in Liam Flahertys Roman The Informer und in John Fords Film 1935) nach Cleveland, Ohio, 1968, in den Tagen nach dem Tod von Martin Luther King. Das Vergleichsmoment liegt in der Frage: Revolution oder politischer Prozess? Gesellschaftliche Mobilisierung oder Bürgerkriegsorganisation? In der afroamerikanischen Community haben in Uptight vor allem Leute das Sagen, die keine Kompromisse mehr eingehen wollen. Im Mittelpunkt aber steht ein Mann, der die Orientierung verloren hat: Tank (Julian Mayfield) soll an dem Waffenraub teilnehmen, bei dem Johnny Wells dann einen Wachmann erschießt; die Polizei setzt 1000 Dollar Kopfgeld auf Johnny aus.

Der Film folgt Tank auf seinen Wegen durch die Stadt: zu Johnnys Schwester Jeannie und deren Freund, dem Militanten B.G. (Raymond St. Jacques), zu Clarence, einem Polizeispitzel, der in einer extravaganten Wohnung lebt (die seinen ambivalenten Status als „nigger, stool pidgeon, faggot“, Rufname: Daisy, wiederspiegelt), zu seiner Freundin Laurie, die mit zwei Kindern in desolaten Verhältnissen lebt. Einmal trifft Tank auf eine Gruppe wohlhabender Weißer in einem Spiegelkabinett, das grotesk verzerrte Bilder erzeugt – eine Sequenz, an der sich Jules Dassin fast ein wenig weidet.

Der Stilwille ist unübersehbar, die Regenszenen mit den Neonfarben der Stadt, der Schweiß auf dem Gesicht von Tank, die beeindruckende Locationszene, als die Polizei Johnny zu ergreifen versucht. Es sieht so aus, als wollte sich das liberale Amerika (Dassin schrieb das Drehbuch mit Ruby Dee und mit dem Hauptdarsteller Julian Mayfield) in diesem Krisenjahr ein Bild von dem kommenden Aufstand machen, und mit Tank einen Protagonisten in den Mittelpunkt stellen, der mit der Herausforderung nicht zurechtkommt: „King’s death turned me around“, sagt er einmal, gemeint ist: Gewalt an dem Prediger der Gewaltlosigkeit macht Tank gewaltlos. Damit wird er für die Radikalen, die auf die Gewalt nun mit Gewalt reagieren wollen, zu einem Verräter, bevor er Johnny dann auch tatsächlich verrät. Kamera Boris Kaufman, Ausstattung Alexandre Trauner.

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