Ausbrennen

Über "Two-Lane Blacktop" von Monte Hellman

„Wenn jemals ein Filmregisseur es verdient hätte, von der Kritik wiederentdeckt zu werden, dann wäre das Monte Hellman“: Quentin Tarantino schrieb diesen Satz 1993 in der Artikelserie Obsessions im englischen Filmmagazin Sight & Sound, noch vor Pulp Fiction und kurz nach seinem Erfolg mit Reservoir Dogs. Dass Monte Hellman als Executive Producer von Reservoir Dogs auftauchte, war nur eine weitere unerwartete Wendung in einer Karriere, die diesen Begriff anscheinend ebenso gegen seine geläufigen Inhalte zu kehren schien, wie Hellmans eigene Filme häufig von einer Formel ausgingen und bei deren Gegenteil ankamen.

Sein Gesamtwerk ist schmal. Hellman begann, nach einigen Jahren beim Theater, während derer er unter anderem Becketts Warten auf Godot inszenierte, für Roger Corman Filme zu machen, oder besser: in dessen Fußstapfen. The Beast from the Haunted Cave (1959), ein Monsterfilm mit Anleihen beim Gangstergenre, wurde entsprechend der Produktionsökonomie Cormans bei dessen Dreharbeiten zu Ski-Troop Attack einfach hinterher gedreht. Es folgten wenige Jahre später zwei billige und schnell gedrehte, aber sehr konzentrierte Action-Pictures auf den Philippinen (Flight to Fury und Back Door to Hell, 1964; jeweils mit Jack Nicholson).

Die Zusammenarbeit mit Nicholson intensivierte sich im Jahr darauf. Das Ergebnis waren zwei Western (Corman soll angeblich gesagt haben: „Since you’ll be out there on location, why don’t you shoot two movies?“), die Hellman in Utah drehte: The Shooting, Ride in the Whirlwind (1966). Tarantino schreibt: „Monte machte Western wie niemand anderer zuvor oder seither. Er verlangsamte die ganze Action so, dass die Szenen in einem Echtzeittempo spielen, wie es für einen Western unerhört war.“

Dieser eigenwillige Umgang mit Genre-Rhythmen kann zum Höhepunkt bei seinem wichtigsten Film: Two-Lane Blacktop wurde 1970 als der Film erwartet, der Easy Rider überbieten sollte. Stattdessen wurde er der beste „französische“ Film, der jemals in den USA gedreht wurde.

Aus den Jahren seit Two-Lane Blacktop existiert noch ein merkwürdiger Zwilling (in Cockfighter, 1974, schlägt sich Warren Oates wieder durch eine Subkultur, die illegalen Hahnenkämpfe im Süden der USA), und ein apokryphes Spätwerk aus Euro-Western (China 9 Liberty 37, 1978), mythisch-metaphysischen Kunstfilmen (Iguana, 1988) und Slasher-Filmen (Silent Night, Deadly Night 3: Better Watch Out, 1989). Alle Filmprojekte von Hellman in den 90er Jahren haben sich vorerst zerschlagen, trotz prominenter Fürsprecher wie Tarantino.

Die Schlüsselszene zu dieser Aufhebung einer Karrierebewegung in scheinbar zielloses Herumstreifen, Verlorengehen, Auftauchen ist Two-Lane Blacktop, ein Roadmovie, von dem man sich so viel versprach, dass die Zeitschrift Esquire sogar das vollständige Drehbuch von Rudy Wurlitzer und Will Corry noch vor dem Filmstart abdruckte, ein Film, der von der zeitgenössischen Kritik durchaus wohlwollend aufgenommen wurde, aber heute wie Kubricks 2001-Monolith aus einer Kultur ragt, die mit ihm letztendlich doch nichts anzufangen wusste.

 

1970 steht Hollywood einen historischen, wenn auch nicht geschichtsmächtigen Augenblick lang im Bann der Außenseiter. Viele Studios haben ihre Produktionseinheiten, in denen experimentell gearbeitet wird. Bei Universal ist es Ned Tanen, der sich unter anderem mit Denis Hoppers The Last Movie herumschlägt. An ihn wenden sich Hellman und der Produzent Michael Laughlin, der die erste Drehbuchfassung von Will Corry an Hellman herangetragen hatte. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Story noch darin bestanden, einen schwarzen und einen weißen Autofahrer durch das Land rasen zu lassen. Hermann schlägt vor, die Story von Rudi Wurlitzer überarbeiten zu lassen: „Ich hatte einen Roman von ihm gelesen, Nog. Eine Szene vor allem war so absurd und brillant, dass ich ihm als Autor einfach nicht widerstehen konnte. Drei Leute campen in der Wildnis, zwei Typen und ein Mädchen. Der Held der Geschichte wird ausgeschickt, Holz zu holen. Als er zurückkommt, findet er die beiden beim Vögeln. Und der Held sagt: ,Also vögelte ich sie von hinten‘. Und er sagt: ,Erst kam er, dann kam sie, und ich machte alleine weiter‘. Das hatte was – das war die condition humaine.“

(Eine ähnliche Szene taucht auch in Two-Lane Blacktop auf, allerdings mit völlig veränderter Auffassung der condition humaine: der Fahrer, der Mechaniker und das Mädchen verbringen die Nacht in einer Kleinstadt. Taylor treibt sich nach dem Rennen noch in Bars herum, bis er spätnachts zum Motel kommt. Er horcht durch die Tür und hört das Stöhnen des Mädchens, das gerade mit dem Mechaniker schläft. Er setzt sich vor die Tür und wartet, nach dem Schnitt folgt schon der nächste Tag. Die Differenz dieser Episode von der Urszene, die Hellman bei Wurlitzer beschreibt, charakterisiert die Abweichung von Two-Lane Blacktop davon, was man sich erwartet hatte: Anarchie on the road, Libertinage, eine Fortsetzung der Boheme-Milieus, in denen Hellmann in Los Angeles im Corman-Umfeld verkehrte, mit den Mitteln des Kinos. Stattdessen kam James Taylor, als wäre er von Bresson geliehen.)

Mit Wurlitzers Drehbuch und dem bereits verpflichteten Star James Taylor schlossen Hellmann und Laughlin einen Vertrag mit Ned Tanen, der Hellman das Recht auf den Final Cut zu sicherte. Das Budget belief sich auf 850.000 $, gedreht wurde in einer nomadischen Bewegung nach Osten, wobei die Schauspieler ihren Text für den kommenden Tag immer erst am Abend davor erhielten. Der Weg ist das Ziel, oder besser: Bewegung und Stillstand heben sich ineinander auf.

 

Two-Lane Blacktop: Zwei Fahrspuren Asphalt. Dazwischen der Mittelstreifen. Hier stellt Hellman die Kamera auf für die erste Einstellung, Nacht. Die Kamera liegt so tief, dass man eher ahnt als sieht, wie weit sich die Fahrbahn in das Dunkel hineinzieht. Man hört Motorenlärm, Ordner mit Lampen gehen herum. James Taylor und Dennis Wilson sind kurz im Bild, aber eher wie in einer Skizze. Noch wird nichts erklärt, die ersten sechs Minuten fällt kein Wort, das irgendwie aussagekräftig wäre. Ein Wettrennen, bei dem die Amateure sich professionell und einsilbig geben, auch dann noch, als die Polizei auftaucht und sie zur überstürzten Flucht zwingt.

In die Nachtschwärze hinein der Filmtitel: Two-Lane Blacktop, und die Credits, die einen ersten Akzent über das setzen, was kommen wird – Individuen ohne Namen, bloße Funktionen ihrer selbst oder der Fahrzeuge. Ein GTO (Warren Oates) verschmilzt überhaupt mit der Typenbezeichnung seines Fahrzeugs, daneben agieren ein „driver“ (James Taylor), sein „mechanic“ (Dennis Wilson), und ein „girl“ (Laurie Bird).

Am nächsten Morgen kommen der Fahrer und der Mechaniker zu einem Haus in einer nicht näher definierten Westküstengegend. Taylor trinkt im Bildhintergrund von einem Hydranten ein wenig Wasser, während Wilson die schweren Ersatzreifen aus dem Wagen hievt. Die anschließende Großaufnahme von Taylor ist ein schönes Beispiel, wie Hellman seine Geschichte an „existenzialistische“ Posen heranführt und dann aber kurz vor der Gefahr, prätentiös zu werden, abbricht: Taylor sitzt und starrt vor sich hin, ziemlich lang. Dann wendet er den Blick nach hinten (er folgt anscheinend den vagen Industrie- und Verkehrsgeräuschen). Er dreht den Kopf wieder nach vorne, und jetzt lässt er die Erinnerung an die vergangene Nacht, den fantasierten Triumph heraus: Der „Plymouth“ wäre unter anderen Umständen zu schlagen gewesen.

Die beiden Männer sind ein Team. Beide sind Amateurschauspieler, aber Stars in der populären Kultur. Taylor, ein Frontmann (beim James Taylor Quartet), Wilson, ein Schlagzeuger (bei den Beach Boys). Hellman behält diese Ordnung, die Arbeitsteilung innerhalb einer Band, auch im Film bei. Wilson sorgt dafür, dass die Maschine im Takt bleibt. Taylor baut auf ihrem Funktionieren seine Solistenarbeit am Steuer auf. Taylor bewegt sich den ganzen Film durch wie jemand, der sich seines Gangs und der Tatsache, dass er gefilmt wird, nur zu bewusst ist. Das gibt seinem Spiel eine Qualität ähnlich wie bei Bresson, ein Moment der Distanz zur Rolle, vor allem zu seinem ohnehin knapp gehaltenen Text (bei seiner längsten Rede, irgendwo an einer Tankstelle, verspricht er sich dann auch gleich zweimal, während er über die seltsamen Überlebens- und Sexualtechniken der Zikaden erzählt). Später, wenn das Mädchen („the girl“) zu den beiden Männern gestoßen ist, wird sich diese „negative Schauspielarbeit“ (analog zu dem, was Manny Farber den „negativen Raum“ genannt hat: das gerade nicht Sichtbare determiniert die Einstellungen genau so wie der sichtbare Raum) zwischen den Fugen der Psychologie und der Natürlichkeit noch intensivieren.

 

 

Der Plot von Two-Lane Blacktop, nach dieser Exposition, beginnt ziemlich genauso wie später Spielbergs Duel. Das Auto, übrigens ein ziemlich hässliches Modell, ein 55er Chevrolet, der seine Kraft geballt unter einem gedrungenen Aufbau versteckt hält, wird von einem GTO, einem sehr schnittigen, gelben Sportwagen überholt. Für den Moment, den die beiden Fahrzeuge auf gleicher Höhe fahren, schallt Musik herüber, und Warren Oates (in Begleitung eines ersten, noch anonym bleibenden Autostoppers) lacht herausfordernd und ein wenig übertrieben herüber.

Der Fahrer nimmt das Rennen nicht auf. Stattdessen macht der Chevrolet einen Halt bei einem Roadhouse, wo Hellmann die erste seiner in den Hintergrund verschobenen Geschichten inszeniert: Während Taylor und Wilson an einem Fensterplatz sitzen und essen (im Lokal läuft als Hintergrundmusik der Song Hit the Road, Jack), erfasst die anscheinend hinter der Theke plazierte Kamera draußen vor dem Gebäude ein Mädchen, das aus einem Kastenwagen herausklettert, seine Sachen zusammenpackt und nach links geht. Die Kamera folgt ihr mit einem Schwenk auf die Türe des Gasthauses, vor dem das Auto steht. Wir sehen das Mädchen einsteigen. Als wenig später Wilson zum Auto kommt, nimmt er die Anwesenheit des Mädchens wortlos zur Kenntnis; Wilsons Reaktion erfolgt, wenn überhaupt, im Off einer Kadrage, die wieder an Bresson erinnert. Das Team hat ein Groupie. Die Fahrt geht weiter.

Man kommt in eine kleine Stadt weit im Süden, mit vielen Mexikanern, deren Straßenbasar Hellmann mit einem auffälligen, beinahe dokumentarisch sich vom Plot entfernenden Zwischenschnitt ins Bild drückt. Das Mädchen versucht, Geld für die Heimfahrt nach San Francisco zu schnorren, die Kamera scheint dabei auf einem Hausdach versteckt zu sein, eine Frau blickt argwöhnisch in die entsprechende Richtung: die Szene wirkt improvisiert, und als das Mädchen in den Park davonläuft, greift ein junger Mann nach ihr, als wollte er sich mitreißen lassen.

Hellmann hat Two-Lane Blacktop selbst montiert, von einer ursprünglich vierstündigen Fassung auf eine Länge unterhalb der vertraglich vereinbarten Obergrenze von zwei Stunden. Der Rhythmus folgt sehr einfach den elementaren Vorgängen bei einer Überlandfahrt: Szenen im Auto, Szenen bei Tankstellen und Rasthäusern, im Falle des GTO die immer neuen Autostopper, Überholmanöver. Zuerst dient das Fahren nur der Bewegung zwischen den Rennen, dann wird die Fahrt selbst ein Rennen. Weder wird der Film dadurch schneller, noch wird es die Fahrt. Es ist aber nicht so, dass die Montage auffällig langsam wäre. Hellmann spart sich die Einstellungen, in denen er komplexere Geschichten ohne Schnitt erzählt, für ein paar wesentliche Momente auf: der Auftritt und der Abgang des Mädchens, das erste Zusammentreffen der beiden Wagen bei der Tankstelle.

 

Die nächste Szene, neuerlich an einer Tankstelle, etabliert nicht nur das Rennen, sondern auch die sehr verhaltene, aber deutliche Komödienspur. Warren Oates, auf den Hellman völlig umstandslos schneidet, hat neuerlich einen Autostopper mitgenommen, eine lächerliche, dickliche Figur mit dicken Brillen und Stetson (Bill Keller). Oates bekommt erste Konturen als eine Figur, die sich angesichts eines neuen Gegenübers immer wieder neu erfindet. Eine prahlende Ausholbewegung, die der Passagier mit einer einzigen Frage zum Stillstand bringt: „How come, you ain’t still in Bakersfield?“ Oates überspielt seine Irritation. Er überholt den Chevrolet (zum dritten Mal) und schimpft darüber, dass ihn diese „sons of a bitch“ jetzt schon durch zwei Staaten verfolgen. Kurzer Blick aus dem Fenster. „Three states.“

Der GTO trifft vor dem Chevrolet an der Tankstelle ein. Oates lässt den Wagen versorgen, der Passagier verdrückt sich, nicht ohne vorher anzuklopfen, auf die Toilette. Wenig später treffen der Fahrer, der Mechaniker und das Mädchen ein. Das Mädchen sucht die Toilette, und in einer ganz knappen, von schräg oben gefilmten Einstellung nimmt Hellmann die peinliche Situation mit, dass das Mädchen den Passagier auf dem Klo erwischt. Ohne irgendeine Reaktion oder einen Hinweis, was diese bizarre Episode bedeuten könnte, sieht man wenig später, wie der Passagier wortlos zum Wagen geht, seine Tasche nimmt und sich im Bildhintergrund wieder an die Straße stellt, wo er (nicht immer sichtbar) die ganze lange Sequenz auch stehen bleibt, bis man schließlich (und wieder nur im Hintergrund) sieht, wie er in einen Pick-up steigt und weiterfährt.

Die Szene an der Tankstelle dauert ziemlich lang. Die Rituale der Annäherung, der Hinweis auf die Stärke der Autos spielen sich zwischen den Männern ab, dazwischen ist das Mädchen, dem Oates in einer sehr eleganten Schwenkeinstellung einen ersten, sehr verhaltenen, aber unverhohlen interessierten Blick nachwirft. Wenig später wird sie zu ihm in den Wagen steigen, aber sein Kapital (die Musik-Cassetten: an dieser Stelle läuft eher ironisch als programmatisch die Außenseiterhymne „Me and Bobby McGhee“) trägt noch keine Zinsen: das Mädchen steigt wieder aus. Die Figuren des GTO und des Fahrers verhalten sich komplementär wie auch ihre Schauspielstile. Oates, der einen extrovertierten, ständig wie um sein mickriges Leben schwadronieren Verlierer spielt, muss dafür auch als Schauspieler arbeiten. Taylor, der einen mürrischen, eigenbrötlerischen Narziss spielt, den sogar das Radio stört, darf sich als Laienschauspieler ganz auf die ikonische Erscheinung verlassen: die langen Haare im Wind, der unaufgerichtete Gang. Ein verwandtes Paar wären die Bruder Staebler in Rafelsons The King of Marvin Gardens (1972), ein Film, der ähnlich frankophil agiert, dem die methodischen Anleihen an die Nouvelle Vague aber äußerlich bleiben. Hellmann ist hier schon einen Schritt, eine Generation weiter. Er ist – wie Kent Jones schon bemerkt hat – näher an Pialat nicht nur wegen der elliptischen Erzählweise. Und wie Jack Nicholson und Bruce Dern bei Rafelson sind hier die Antagonisten zugleich symbiotisch aufeinander ausgerichtet. Entsprechend fällt Dennis Wilson mit Fortdauer von Two-Lane Blacktop ein wenig aus dem Film hinaus.

Das Mädchen, dessen Ruhelosigkeit an einer Stelle explizit wird, an er sie (I can’t Get No) Satisfaction von den Rolling Stones singt, wechselt von nun an mehrmals die Seiten, während sich zugleich die Rivalität einer Wettfahrt nach Washington, D.C., immer mehr verliert in seltsamen Allianzen, Waffenstillständen, Ablenkungen in beinahe menschenleeren verregneten Provinznestern. Oates: „Well, here we are on the road.“ Taylor: „Yes, that’s where we are all right.” Einmal retten sie den hoffnungslos betrunkenen GTO sogar vor der Polizei.

Die tragische Geschichte des GTO konkretisiert sich vor allem in den Dramoletten, die er mit jedem neuen Autostopper erlebt: die homosexuelle Annäherung von Harry Dean Stanton, den er dafür mitten in der Nacht aus dem Wagen werfen möchte, was er dann doch nicht übers Herz bringt; der Hippie, mit dem das Gespräch so bizarr misslingt, dass dieser nach wenigen Kilometern Fahrt gleich wieder aussteigt – die größte Demütigung für einen Menschen, der ohne Publikum nichts ist; schließlich eine alte Frau mit deiner Enkeltochter, die sich auf einen Friedhof fahren lässt, wo sie einen Verkehrstoten betrauert (Oates hilft ihr aus dem Wagen und hält ihr den Schirm, ratlos, nachdem er ohnehin spät begriffen hat, was sie ihm da erzählt).

Der Chevrolet mit seinem Konkurrenten rast inzwischen ostwärts, aber bei einem Rennen abseits der Straße ist auch der GTO wieder zur Stelle, und dieses Mal setzt das Mädchen die Fahrt mit ihm fort. Der Driver, der inzwischen selbst schon nicht mehr von Washington und vom Gewinn des Rennens fantasiert, sondern von den Stränden in Florida, hetzt hinterher, so fanatisch, dass ihn Wilson mit der besten Pointe, die ihm Hellman gönnt, erst mit fünf Minuten Verspätung darauf hinweist, dass er schon zu weit gefahren ist.

Vor der letzten Tankstelle in Two-Lane Blacktop thront förmlich ein Motorrad, was man gerne als ironischen Hinweis auf Easy Rider verstehen kann. Das Mädchen wird auf diesem Motorrad aus der Geschichte hinausfahren. Die Männer bleiben bei einem jämmerlichen Frühstück zurück. Es bleibt immer noch die Einladung zu einem Rennen. Der GTO macht sich zuerst auf den Weg. Den Autostoppern, denen er eine direkte Fahrt nach New York in Aussicht stellt, erzählt er, er habe den GTO gerade erst gewonnen bei einer Wettfahrt, bei der er ein paar jungen Burschen gezeigt habe, wie man einen 55er Chevrolet richtig zu fahren habe. Die paranoide Symbiose mit dem Driver ist perfekt.

Natürlich ist Two-Lane Blacktop auf eine gewisse Weise das Endspiel aller Roadmovies. Zweck der Bewegung ist hier nicht mehr wie noch in verwandten Filmen etwas außerhalb der Bewegung (selbst Barbara Lodens Wanda, eine nahe Verwandte von Hellmanns Außenseitern, entwickelt sich noch in einer Dialektik von Flucht und Zur-Ruhe-Kommen, wenn es auch nicht soweit kommt), sondern diese selbst. Entsprechend vernachlässigbar wird das mythische Kapital der Roadmovies schlechthin, die grandiose amerikanische Landschaft. Die seltenen Totalen richtet Hellman so ein, dass die Kamera den Autos nur eine kurze Wegstrecke folgen kann; lange Brennweiten, ein typisches Mittel zur Dramatisierung von Landschaft, kommen praktisch nicht vor.

Nach diesem Film gibt es nur mehr Trash (Death Race 2000) oder Star-Klamauk (The Cannonball Run), feministische (Thelma and Louise) oder postmoderne (True Romance) Nihilismus-Imitate und Filme, die einfach so tun, als wäre nie etwas gewesen (Rain Man) oder solche, die es noch einmal allen so richtig zeigen wollen (Wild at Heart). Sie zeichnen sich alle dadurch aus, dass sie primär etwas Anderes im Blick haben als Hellman, dem es simpel um Bewegung geht und um die Banalitäten, die sich der Bewegung widersetzen. Dass seine Figuren zu diesen Banalitäten auch die Liebe rechnen, hindert Hellman nicht daran, einige Momente vomn großer Intimität zumindest anzudeuten.

Wie ist das Ende zu verstehen? Hier lohnt noch einmal ein Blick auf Duel von Spielberg, diesem Bastard-Zwilling von Two-Lane Blacktop, der auch das komplementäre Paradigma vertritt, das geschichtsmächtig wurde. Die paradoxe lineare Malstrom-Struktur kommt an ihr Ende. Der Driver steigt aus dem Transkontinentalrennen aus, um an einem der namenlosen kleinen Rennen teilzunehmen, die sich ihm anbieten. Die Szenerie ist die des Beginns: Eine zweispurige Asphaltstraße, ein Mittelstreifen. Die Beschleunigungswettfahrt filmt Hellman subjektiv, vom Rücksitz aus. Taylor startet, schaltet, rast (ohne dass die Subjektive viel von dieser Beschleunigung vermitteln würde). Ein Verfremdungseffekt tritt auf, als würde die Bewegung sich in das Bild einschaben, als würden sich die Kader überlagern. Dann brennt der Film von links oben aus. Schwarzfilm. Abspann.

Neben Spielbergs letztem Cowboy Daniel Mann, der vor abendroter Sonne seinen Sieg über den anonymen Truck reflektiert (in einem durchaus zweideutigen Bild), ist Hellmans Lösung die entsprechend radikalere. Er beharrt bis ins letzte Bild darauf, dass Two-Lane Blacktop keine Reise in eine Bedeutung war, sondern allenfalls in den „Film“ selbst: „In diesem Sinn ist der Film das System, das die Bewegung als Funktion eines beliebigen Moments reproduziert, das heißt in Abhängigkeit von Momenten in gleichem Abstand, die so ausgewählt wurden, dass ein Eindruck von Kontinuität entsteht.“ So die Definition von Deleuze, die Wert darauf legt, dass Film zuallererst keine Aneinanderreihung von besonderen Momenten mit einem metaphysischen Hintergrund ist (wie bei Spielberg), sondern eine Reihe, eine Serie, ein trügerisches Kontinuum aus Momentschnitten. Dass Hellman gegen diese Lüge antritt und seinen Film verbrennen lässt, positioniert Two-Lane Blacktop an der Grenze zum Avantgarde-Film: Abschied von der Bedeutung, Ankunft beim Material. Oder, wie damals der Kritiker von „Variety“ schrieb: „Taylors destiny makes for an excellent tag: silent footage, then double-printed frames, and finally burnout.“ Ausbrennen.

Diesen Text habe ich 1997 für das Programm 306 des Stadtkinos in Wien geschrieben. Dank an Georg Horvath.

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