Unberechenbares Jeu

Lektüre: "Der Geldkomplex" von Fanny zu Reventlow

Durch einen Film im Forum der Berlinale bin ich auf Fanny zu Reventlows kleinen Roman Der Geldkomplex aufmerksam geworden, erstmals erschienen 1916. „Meinen Gläubigern zugeeignet“, lautet das Motto, und man könnte diese Briefe einer Dame, die gern auf großem Fuß lebt, dafür aber keine eigenen Mittel hat, sehr schön als Einführung in die jüngere Gegenwart lesen, in eine Ära entfesselter Geldmengen und auf die Spitze getriebener Verschuldung. Unwillkürlich stellt sich auch ein Zauberberg-Gefühl ein, denn die Erzählerin verbringt die meiste Zeit in einem Sanatorium, wo sie eben von ihrem „Geldkomplex“ geheilt werden soll, von einem Psychoanalytiker, der damit seiner damals noch jungen Schule Legitimität verschaffen will.

Doch die namenlos bleibende Erzählerin hängt viel zu sehr an ihrem Komplex. Wohl auch deswegen, weil er die literarische Pointe des Buches ausmacht: „Bitte, haltet mich nicht für ernstlich gestört, aber ich bin tatsächlich dahin gekommen, es - das Geld - als ein persönliches Wesen aufzufassen, zu dem man eine ausgesprochene und in meinem Falle qualvolle Beziehung hat.“ Hat das Geld erst einmal auf diese Weise Gestalt angenommen, wird der ganze Umgang damit ungeheuer heikel: denn es ist häufig „kopfscheu“, wenn man nicht aufpasst, macht man es „rebellisch“, und zum Ende hin erreicht es den Gipfel der Unverschämtheit - es „benimmt sich ironisch“.

Diese prekäre Fernbeziehung hat ihren Sitz im Leben in einer der Welt entrückten Gemeinschaft in einem Sanatorium, aus dem die Erzählerin nur deswegen nicht hinausgeworfen wird, weil sie schon so viele Schulden dort auflaufen hat lassen, dass eine Abschreibung undenkbar geworden ist - sie muss also bleiben, für den unwahrscheinlichen, aber ständig beschworenen Fall, dass von irgendwo her Geld auftaucht. Noch komischer wird diese unhaltbare, und gerade dadurch stabile Situation durch die Abwicklung einer Erbschaft, bei der die Erzählerin durch Erbschleicherehe Anspruch auf einen Pflichtteil hat. Das genau Ausmaß dieses Geldsegens ist unklar, und durch ständig neue Verwicklungen beweist das Geld gleichsam seinen wesentlichen Charakter: dass mit ihm nicht zu rechnen ist, oder wenn, dann allenfalls ironisch.

Kein Wunder, dass der einzige Ausflug, den die Gruppe unternimmt, nach Monte (ohne Carlo) führt. „Hier bin ich vollkommen und wunschlos glücklich. (…) Man wohnt nicht, man ist im Hotel, und am Spieltisch gibt es keine Vergangenheit, keine Zukunft und keine Gegenwart mehr, keine Spannungen und keine Gedanken. Denn ich muss bemerken, das Jeu hat für mich nichts Aufregendes, es wirkt im Gegenteil beruhigend, man sieht nur Geld, hört nur Geld, und das ist gerade das, was mir not tat.“

Konsequent schreibt Fanny zu Reventlow die Geschichte bis an den Punkt der undialektischen Aufhebung: „Die ganze Atmosphäre hat eine kapitalistische Note bekommen, die ungemein wohltuend ist. Unsere Popularität ist ins Ungeheure gestiegen, wir gelten zum mindesten für Millionäre, weil wir unsere Verluste mit Würde tragen, und haben schrankenlosen Kredit. So lässt sich’s ganz gut leben.“ Das ist eine letzte Lockerung, die einen großartigen Roman zu einem würdigen Abschluss bringt.

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