Ebenenwechsel

César Aira (1): Wie ich Nonne wurde

Wenn ein Buch den Titel Wie ich Nonne wurde trägt, dann würde man mindestens zweierlei erwarten: Dass man es mit einer Erzählerin zu tun bekommt, und dass sie am Ende Nonne wird. Bei dem argentinischen Schriftsteller César Aira gibt es allerdings gerade bei so eindeutigen Hinweisen immer Grund zur Vorsicht. Ich hatte bisher nur die Erzählung Der Literaturkongress gelesen, und im New Yorker findet man zur freien Lektüre Picasso (mit einer der besten Pointen, die mir beim Lesen bisher untergekommen ist). Nun mache ich mich mit der Bibliothek César Aira, die bei Matthes & Seitz erscheint, daran, mich weiter mit Aira zu beschäftigen: Das Cover zeigt einen weißen Ordensschleier, der eine Erdbeere umhüllt. Das ist ein hübsches Trash-Motiv, umgeben von werblichen Zitaten. „Ein stets überraschender Autor“, schreibt La Vanguardia, fast möchte man das für eine Untertreibung halten.

Die Erzählerin ist im frühen Schulalter, sie erzählt von der Zeit nach ihrem sechsten Geburtstags, allerdings aus einer Perspektive des Zurückschauens, die deutlich unbestimmt bleibt. Auf jeden Fall handelt es sich bei der designierten Nonne um ein einsames Kind, das in der Schule zudem den Nachteil hat, dass es nicht lesen kann. Aira entwickelt daraus eine Szene, in der sich die ganzen Geheimnisse des Nominalismus und der Schrift auf wunderbar obszöne Weise zu erkennen geben: Die Erzählerin schreibt aus dem Gedächtnis eine Toiletteninschrift in ihr „noch unberührtes“ Schulheft.

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Sie zeigt die neue Errungenschaft, die Herrschaft über die semantisch noch nicht zugeordneten Buchstaben, am Abend voller Stolz der einzigen Bezugsperson, die dummerweise eben durch diesen Buchstabenwurm (unflätig) bezeichnet wird.

Wie ich Nonne wurde ist voll von solchen „Schwierigkeitssystemen“, wie Aira das passenderweise nennt. Die Erzählerin hat keine Puppen, deswegen spielt sie mit Phantasiefreunden, bei denen es sich um ihre Klassenkameraden handelt, für die sie sich „komplizierte Dyslexien“ ausdenkt, zum Beispiel schreibt ein Junge in einem Wort immer zuerst die Vokale und dann erst die Konsonanten. Der naheliegende Fall für einen schwierigkeitensystematisch mitdenkenden Leser wäre natürlich, das erste geschriebene Wort der Erzählerin auch in diese Entstellung zu übertragen. Ich versuche es einmal:

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Hier sind wir sehr nahe am Aira-Genom.

Die eigentliche Handlung, der Plot von Wie ich Nonne wurde, hat mit Erdbeereis zu tun, das grässlich schmeckt, das ein Todesopfer fordert und später noch eines, aber da ist dieses Buch schon weit über seine eigenen Voraussetzungen hinaus in der entfesselten Auktorialität eines Verfassers angekommen, der auf einer Seite schreiben kann: „Weil die Wirklichkeit, das einzige Feld, auf dem ich hätte handeln können, sich von mir in dem Tempo entfernte, in dem ich begehrte, in sie hineinzugelangen...“ Und eine Seite später: „Die ganze Erzählung, die ich hier begonnen habe, gründet sich auf mein perfektes Erinnerungsvermögen.“ So kann man sich täuschen. Das Begehren, in die Wirklichkeit hineinzugelangen, führt bei Aura immer in die Möglichkeiten der Sprache, jede Wirklichkeit jederzeit einem Ebenenwechsel zu unterziehen.

Allerdings steckt in Wie ich Nonne wurde durchaus auch eine anrührende argentinische Kindheitsgeschichte. Nur bleibt sie eben in sich stecken. Wir müssen sie bei dem Schopf herausziehen, zu dem sich die Buchstaben fügen.

César Aira: Wie ich Nonne wurde. Aus dem Spanischen von Klaus Laabs, Matthes & Seitz (Bibliothek César Aira) 2015

Bei meiner bevorzugten Online-Buchhandlung Osiander

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