Film und Folgen (83)
Notizen: Juli 2025
Jaful Secululoi (The Heist of the Century) Ana Teodora Mihai Rumänien 2025
Nati und Ginel sind ein junges, rumänisches Paar in den Niederlanden. Sie arbeitet in den Gewächshäusern, er sortiert Müll. Die kleine Tochter Alesia ist daheim bei der Großmutter. Ginel erledigt Dinge für Ita, einen Jugendfreund, der kriminell unterwegs ist. Als Natalia bei einer Swingerparty in venezianischem Stil auf einen Mann trifft, der sich als Kurator (einer Ausstellung über Kolonialismus!) erweist, wird auch Ita auf den Kunstmarkt aufmerksam – und es gelingt ihm tatsächlich, mit Ginel als Fahrer, ein paar sehr wertvolle Gemälde (von Picasso, Gauguin oder „Matiz“!) zu erbeuten. Damit beginnt erst das Drama, das mit dem Rückzug nach Rumänien, in eine Armensiedlung, seine eigentliche Schärfe gewinnt. Es geht nicht zuletzt darum, dass die rumänische Arbeitsmigration in Westeuropa „nicht gesehen“ wird. In einem bedeutsamen Dialog sagt einer von der rumänischen Polizei zu einem niederländischen Kollegen: Wir glaube eigentlich, dass wir mit euch ein „wir“ sind, ihr glaubt aber, dass wir mit den den Rumänen immer ein „sie“ bleiben. Europäische Funktionselite steht gegen unüberwindliche Differenzzuschreibung. Für die Gemälde gibt es keinen Markt, wohl aber für die Ikonen, die aus den Herrgottswinkeln armer Leute in die Sammlungen der Neureichen wandern, für einen Spottpreis. Drehbuch Cristian Mungiu.
Trei kilometri pana la capatul lumii (Drei Kilometer bis zum Ende der Welt) Emanuel Parvu Rumänien 2024
In einer entlegenen Siedlung im rumänischen Donaudelta wird ein junger Mann verprügelt. Adi (Adrian) läuft danach mit verquollenem Auge und Blutergüssen im Gesicht durch den Film. Bald stellt sich heraus, dass es sich um ein Hassdelikt gehandelt hat. Denn Adi, den sein Vater gern auf der Marine-Akademie sehen würde, ist „eine Schwuchtel“. Emanuel Parvu geht konsequent soziogrammatisch vor: die Eltern, der Polizist, der lokale Oligarch (bei dem auch Adis Vater Schulden hat), der Pfarrer, eine Freundin von Adi, alle stehen für eine mögliche Haltung nicht nur zu Adis sexueller Identität, sondern auch zu staatlicher Institutionalität und zu einer Öffnung der provinziellen Abgeschlossenheit (es gibt auch eine Dialogzeile, in der über das Filmfestival abgelästert wird, das im Sommer in der Gegend stattfindet). Parvu macht diese Schließung der Reihen im Dorf zu seinem dramaturgischen Leitprinzip: eine Frau vom Jugendamt kommt aus der nächsten Stadt Tulcea. Sie stößt auf konsequente Ablehnung.
King of New York Abel Ferrara USA 1990
Die frühen Filme von Abel Ferrara waren wichtig in der Zeit, als ich über Kino zu schreiben begann. In Wien gab es eine Schau über Neues amerikanisches Independentkino, da lief Ms. 45, der mich sehr beschäftigt hat. Ich war damals ein junger Mann, der sich von seiner katholischen Prägung zu lösen begann, da war Ferrara, ein Kultregisseur mit Hang zum Katholischen, natürlich auch insofern spannend. King of New York ist vor allem interessant als Spiel mit dem Charisma von Christopher Walken, der hier manchmal auch latent komisch wirkt: Er spielt den Paten Frank White, der aus dem Gefängnis entlassen wird (nach offensichtlich längerer Zeit, später sagt er einmal, er hätte sein halbes Leben hinter Gittern verbracht). Er gilt in der Branche als „n*gger lover“, in seiner Truppe ist das afroamerikanische New York stark vertreten, darunter Laurence Fishburne in der Rolle des Jimmy Jump. Frank hat die Stadt in der Tasche, wenn es Probleme gibt, hat er dafür eine Anwältin: Janet Julian spielt diese Rolle der Jennifer, die für White zugleich counselor und Geliebte ist (einmal fährt er mit ihr in einer fast leeren U-Bahn und holt ihre Brust heraus, ein Detail, das für die merkwürdige Erotik dieses durchaus geschmäcklerischen Neo-Noirs steht).
Das Drehbuch von Nicholas St. John, dem Intellektuellen hinter Ferrara in diesen Jahren, spielt eine große Puzo-Coppola-Flurbereinigung durch, in der White das Milieu in New York unter seine Herrschaft bekommt, und dabei zugleich so weit geht, dass es für ihn selbst keine Perspektive mehr gibt: eine also sehr ambivalente, selbstzerstörerische Operation, die aus der ganzen Gewalt und Korruption auch noch etwas Gutes entstehen lassen will (ein Community Hospital). Super die Szene, als Verhandlungen mit einem chinesischen Gangster Lawrence in einem Kinosaal stattfinden, in dem gerade Max Schreck als Nosferatu zu sehen ist (der vor den chinesischen Kommunisten geflüchtete Larry spricht sich naturgemäß gegen „socialized medicine“ aus, wird aber von Whites Leuten in einem Shootout in Chinatown kassiert). Bojan Bazelli war Kameramann, er fing ein bläuliches, glänzendes, nächtliches New York ein, mit einer obligaten langen Regenszene, dazu die flamboyanten Kostüme (Cerrutti wird als ein Ausstatter genannt). Insgesamt eine wilde Mischung. Ich musste an Michael Roemer denken: The Plot Against Harry.
Le genou de Claire Eric Rohmer Frankreich 1970
Die fünfte der sechs Moralischen Erzählungen von Rohmer. Ich habe sie mir angesehen, weil Aurora Cornu mitspielt, eine sehr interessante rumänische Autorin und Schauspielerin, die in den 1950er Jahren vorübergehend mit Marin Preda verheiratet war, dem Autor des Romans Morometii – der dritte Teil der Verfilmungen dieses Zentralwerks der rumänischen Nationalliteratur bekräftigt noch einmal, dass sie es war, die auf eine Veröffentlichung gedrängt hatte und das Potential des Texts erkannte. Bei Rohmer spielt sie eine Autorin namens Aurora, die einen Sommer in einem Haus am Lac d’Annecy verbringt. Sie trifft auf einen Bekannten namens Jermone Montcharvin, dunkler Vollbart, dunkles, gewelltes halblanges Haar, immer elegant und einen Hauch overdressed, auch an heißen Tagen trägt er einen Pulli über die Schultern geworfen. Er ist verlobt mit einer Lucinde, die er nicht sonderlich leidenschaftlich zu lieben scheint, und die auch nie auftaucht. Stattdessen sind es die beiden Töchter der Besitzerin des Hauses, die ihn beschäftigen: zuerst die sehr junge Laura, später ihre nicht viel ältere Schwester Claire. Laura schwärmt ein wenig von dem mondänen Mann, der immer mit dem Motorboot über den See kommt. Es passiert aber nichts, auch nicht in den Ellipsen (Rohmer zeigt von jedem Sommertag eine Szene, dazwischen könnte man sich ab und zu etwas dazudenken, es deutet aber nichts darauf hin). Jerome ist kein Verführer, ein wenig eitel ist er aber auf jeden Fall, und als er schließlich (beim Obstpflücken) auf das Knie von Claire aufmerksam wird, das ihm danach noch zweimal deutlich ins Gesicht gehalten wird, hat er das Objekt seiner Begierde gefunden: einen Körperteil, der im Sommer die ganze Zeit unbedeckt ist, und bei aller Freizügigkeit der knappen Bikinis und unbekümmerten Bewegungen im Garten für ihn eben doch unerreichbar.
Rohmer betont das noch durch die übertriebenen Berührungen, die es ständig zwischen Jerome und Aurora und auch Laura gibt. Claire hat einen gleichaltrigen Freund, und nimmt von Jerome kaum Notiz. Der ist in doppelter Mission unterwegs: als Versuchskaninchen der literarische Neugierde von Aurora, die ihn gleichsam schon als Figur einer Erzählung sieht, aber auch in eigener, männlicher Sache einer Erotik, die zu bestimmen das Vorhaben des Films ist. Denn eine Berührung ist ja nur dann beglückend, wenn sie mit einer „Gewährung“ (so nannte das Thomas Mann, wenn er von seiner Homosexualität schrieb, die über kleine Gesten körperlich nicht hinausging) einhergeht. Als es schließlich zu der Zärtlichkeit kommt, geschieht dies unter falschen Voraussetzungen. Claire ist in einer Notlage (wetterbedingt, und weil ihr Jerome irreführende Dinge von ihrem Freund erzählt hat). Gegenüber Aurora wertet Jerome seinen Übergriff (das Wort ist hier buchstäblich zu nehmen) ausführlich hermeneutisch aus; er holt jeden erdenklichen Aspekt aus der precision de mon geste. Im Grunde treffen in den zwei Generationen auch zwei Zeitalter aufeinander. Das eine ist ein literarisches, in dem Erotik und Sexualität eine Sache der höchst reflektierten Kultur sind. Das anderes ist eines der Unbefangenheit, für das Claire und ihr Freund stehen, die man zwar nie bei Andeutungen von Sex sieht, die man sich aber nicht als „jungfräulich“ vorstellen kann. Jerome ist der Mann dazwischen, auch insofern, als er „für“ Aurora und Rohmer agiert, ein Mann mit zwei Aufträgen.
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