Filme und Folgen (35)

Noitzen: Juni 2021

Angel Heart Alan Parker USA 1987

Ein Wiedersehen mit einem Reißer aus den Jahren, in denen ich ernsthaft ins Kino zu gehen begann. Mickey Rourke spielt Harry Angel, einen Privatdetektiv im Jahr 1955. Er ist auf eine schöne Weise soft-boiled, der Begriff bietet sich auch deswegen an, weil Robert DeNiro in der Rolle eines ominös tuenden Louis Cyphre (mit auffälligen Fingernägeln) ja eine Eierszene hat, die berühmt geworden ist. Harry Angel soll einen Mann namens Johnny Favorite finden, der 1943 als vegetable aus dem Krieg zurückgekehrt war, oder auch als a virtual zombie. Mit diesem Wort ist eine Spur gelegt, die über Harlem nach New Orleans führt, und in eine Mythologie, bei der Parker ziemlich dick aufträgt. Zum Beispiel bei dem Rot, mit dem das Gesicht eines Toten bemalt wurde, der in einem brodelnden Gumbo-Topf stirbt. So unbefangen exotisierend und erotisierend würde man Voodoo heute wohl nicht mehr zeigen. Lisa Bonet (damals bekannt aus der Cosby Show) spielt Epiphany Proudfoot, mit der Harry Angel einmal ins Bett geht: die Vereinigung (von der Decke des ranzigen Hotelzimmers tropft Wasser, das sich in Blut verwandelt) zählt zu den lächerlichsten Sexszenen der Filmgeschichte überhaupt. Am Ende führt die Spur zurück zu dem, der sucht, und Louis Cyphre erweist sich als Chiffre für einen Seelenfänger, mit dem man besser keinen Pakt schließt, denn er hält Eier für ein Symbol der Seele. (MUBI)

Ballad of a White Cow Behtash Saaneeha/Maryam Moghaddam Iran 2021

Ich bin mit der zweiten Koran-Sure Die Kuh nicht im Detail vertraut, muss deswegen das Bild einfach auf das Naheliegende hin lesen, das am Beginn des Films steht: ein großer Innenhof einer Institution (vermutlich ein Gefängnis), links an der Wand viele schwarz gekleidete Männer, rechts viele schwarz gekleidete Frauen aufgereiht, in der Mitte allein eine weiße Kuh. Männer und Frauen sind im Iran durch den Koran getrennt. Mina, eine Frau in mittleren Jahren, hat ihren Mann vor einem Jahr durch eine Hinrichtung verloren. Sie lebt mit ihrer taubstummen Tochter Bita, arbeitet in einer Milchfabrik, und muss sich mit ihrem misstrauischen Schwager herumschlagen, im Hintergrund droht der Schwiegervater, der nie persönlich auftaucht. Bita liebt Filme, konkret das vorrevolutionäre Kino mit der Sängerin Googoosh. Die Erzählung entfaltet sich analytisch, legt also ein bedeutsames Detail nach dem anderen frei, nachdem relativ bald eine schockierende Neuigkeit über den zum Tode verurteilten Ehemann bekannt wird. Ein Mann namens Reza tritt an Mina heran, er will ihrem verstorbenen Mann eine Schuld begleichen, von der sie nichts wusste, er besorgt ihr eine Wohnung, nachdem sie aus der vorigen geworfen wurde, weil sie ihn (Reza ist ein „unrelated man“) hineingelassen hatte. Mina kämpft auf einem juristischen Instanzenweg um Kompensation für die Hinrichtung ihres Mannes, bewegt sich damit aber auch auf das Geheimnis zu, das Reza ihr verschweigt, weil die Enthüllung unweigerlich das Ende ihrer allmählich aufkeimende Zuneigung mit sich bringen muss. Am Ende sind Mina und Bita allein auf einer nächtlichen Straße. Geopfert von einer Gesellschaft, die für alleinstehende Frauen keine Optionen bietet. (Berlinale)

MOVE Confrontation in Philadelphia Karen Pomer/Jane Mancini USA 1980

Im August 1978 räumte die Polizei von Philadelphia ein Haus an der Ecke Powelton Avenue und 33rd Street, in dem die afroamerikanische Bewegung MOVE ihr Quartier hatte: eine „back to nature group of radicals“, so eine der Außenbezeichnungen, eine „powerful family of revolutionaries“ (Selbstbezeichnung) unter Führung von John Africa, einem Verfechter einer Weltanschauung, die man vielleicht als ökoanarchistisch bezeichnen könnte. Unter den 48 Bewohnern waren viele Kinder, denn MOVE war gegen Geburtenkontrolle, und das Recht der Mütter auf einen „lifestyle that defies the laws of our society“ wurde auch als sorgerechtliche Anklage bestritten. Es war der Bürgermeister Frank Rizzo, der mit der Rede von einem unrechtmäßigen Lebensstil die Devise vorgab, dazu kamen Vorwürfe, die Gruppe würde unhygienisch leben (Ratten im Haus und drumherum war der entsprechende Topos, oder einfach „the smell“). Das aktivistische Video zeigt vor allem Menschen am und auf dem Befestigungszaun, mit dem MOVE sich zuerst gegen die Blockade, dann gegen die eviction zu wehren versuchte. Die beiden Filmemacherinnen sprachen mit Mitgliedern von MOVE, die sich alle den Nachnamen Africa gegeben hatten, und mit Reportern. Ein weißer Journalist gibt ein Schulbeispiel für seine vorgeblich neutrale Position: „I tell the truth“, und einen Satz später „I don’t think it’s important what MOVE really stands for“. Umgekehrt beklagt sich der Bürgermeister Frank Rizzo, der in der Polizeigewerkschaft aufstieg, über die Medien, deren Berichterstattung er als gegen die Behörden gerichtet wahrnahm. Bei der Räumung starb ein Polizist, Mitglieder von MOVE wurden misshandelt, es gab eine Untersuchung über Polizeigewalt, die Pomer und Mancini auch filmten, als Medium inmitten der Medien und einer kritischen Zivilgesellschaft. Ein Dokument ersten Ranges von einem Schlüsselereignis für den afroamerikanischen Aktivismus, das eine größere Katastrophe vorwegnahm: 1985 wurde ein weiteres MOVE-Quartier zum Ziel eines Bombenabwurfs durch die Polizei, elf Menschen starben, zahlreiche Häuser brannten ab. (Sheffield Docfest online)

Two Minutes to Midnight Yael Bartana Deutschland/Niederlande 2021

In einem Peace Room (der in den Grundzügen dem Situation Room oder War Room aus Dr. Strangelove entspricht) sind Frauen zu einem Experiment versammelt: what if women ruled the world? Es bleiben dann immer noch die alten Fragen nach Zweck und Mittel, zum Beispiel auf dem Weg zum Frieden. Außerdem hat Yael Bartana in ihr Gedankenspiel einen Widerspruch eingebaut, der zur Entstehungszeit dieser Arbeit nahelag: der Weltregierung der Frauen steht ein amerikanischer Präsident Twittler gegenüber, der das Nukleararsenal für „dick-swinging“ benützt. Kurzfristig wird sogar über einen Anschlag auf diesen Störenfried diskutiert. Spannend ist vor allem die Liste der Beteiligten: Christina von Braun, Kübra Gümüsay, Christine Muttonen und viele andere treffen auf Schauspielerinnen, die Spitzenpolitikerinnen spielen, zum Teil mit „männlichem“ Habitus (die Präsidentin raucht dicke Zigarre). Als ein Mann mit nacktem Oberkörper Früchte aufträgt, wird kurz darüber diskutiert, ob das angebracht oder zulässig sein könnte. Zur Aufklärung des Stereotyps, dass Frauen die bessere Politik machen würden, ließe man sie nur an die Schaltstellen der Macht, trägt Two Minutes to Midnight schon deswegen wenig bei, weil sich das mit dem Gebot zur Differenzierung nicht verträgt: „we should not romanticize about our power“. „If you cannot acknowledge complexity you are on the wrong side of history.“ Schließlich wird die Theatersituation, der Performancecharakter der ganzen Sache offengelegt, indem das Publikum sichtbar wird. Als Bühnenstück (und auch als dessen Filmderivat) erscheint mir Two Minutes to Midnight nur bedingt gelungen, der Expertise vieler der beteiligten Frauen werde ich aber nachgehen. (Sheffield Docfest online)

Who We Are: A Chronicle of Racism in America Emily & Sarah Kunstler USA 2021

Ein Vortrag des Bürgerrechtlers Jeffery Robinson (vor großem Publikum auf einer Theaterbühne) bildet den Rahmen: Es geht um Amerika (USA) als „one of the most racist nations in the world“. Implizit geht es also auch um eine Widerlegung der (weißen) amerikaischen Mythen von Manifest Destiny und von der greatest nation on earth. Robinson geht einmal durch die Geschichte seit dem Beginn der Kolonisierung, er zeigt eine Anzeige aus einer Zeitung aus dem Jahr 1804, in der Andrew Jackson (der Mann auf dem 20-Dollar-Schein) zehn Dollar auslobt für jeden, der geflüchtete Versklavte auspeitscht, er weist darauf hin, dass das erste Schiff, das versklavte Menschen nach Amerika bringen sollte, Desire hieß, und so geht es dann mit einer augenöffnenden Wucht weiter, mit Stationen bei Griffith‘ Film Birth of a Nation („this is what we are as Americans“, also rassistische Fanatiker), in Greenwood/Tulsa 1921 („this city could have had an incredibly different destiny“), bei der Ermordung von Martin Luther King. Zweimal sieht Robinson einen „tipping point“, eine Chance auf eine Verbesserung, die zerstört wurde: nach dem Bürgerkrieg („the reconstruction was actually working“, es folgten als Rückschlag viele Lynchopfer), und bis zum Attentat auf MLK. Es folgte die reaktionäre Politik Nixons, der einen Krieg gegen „die Drogen“ zu massenhafter Einsperrung von Afroamerikanern nützte. Der zweite Faden in Who We Are sind viele Besuche, die Robinson quer durch das Land macht, bei Aktivistinnen und Angehörigen von Opfern von Polizeigewalt, bei einer Frau, die sich erfolgreich gegen eine Statue von Nathan Bedford Forrest in Memphis engagierte und weiterreichende Forderungen hat: „we want all confederate memorabilia removed“. Who We Are ist eine mustergültige Geschichtsstunde, und sie macht am Ende sogar ein bisschen Mut, denn Robinson trifft nicht nur zwei weiße Freunde von früher wieder, die ihn in den 60er Jahren bei seinem Kampf gegen rassistische Ausschlüsse unterstützten, er sieht auch Anzeichen für einen dritten „tipping point“: mit Black Lives Matter und anderen Bemühungen der Zivilgesellschaft könnte dieses Mal ein neuerlicher Rückschlag verhindert werden. (Sheffield Docfest online)

Summer (Leto) Vadim Kostrov Russland 2021

Hiob 33,25 steht als Motto vorweg: dann blüht sein Fleisch in Jugendfrische, zu Jugendtagen kehrt er zurück. Wollte man das nationallegorisch lesen, dann wäre der achtjährige Vadik, der im Mittelpunkt steht, so etwas wie eine Hoffnung auf ein neues Russland, das aus der „natürlichen“ Unschuld dieses Sommers wiedererstehen würde, nach vielen Hiobs-Erfahrungen. Es wäre allerdings auch eine Wiedergeburt in ein sowjetisches Zeitalter, das die Stadt Nischni Tagil nach wie vor zu prägen scheint: Schwerindustrie am Horizont, nächtliche Verschubarbeiten auf einem Bahnhof, kathodisches Glühen. Kostrov lässt allerdings nach dem Motto mit keiner Andeutung erkennen, dass er mehr im Sinn hätte, als einen perfekten Sommer in ereignisloser Latenz zu zeigen: Vadik und seine größere Halbschwester Kristina durchqueren ohne Eile eine Landschaft, in der vielbefahrene (und laute) Straßen direkt neben überwucherten Stahlrohren zu liegen scheinen, über die die beiden Kinder gehen. Kristina ist kein Kind mehr, sie trägt einmal ein geradezu programmatisches weißes Stoffkleid, ihre Zuneigung zu dem Nerd Pasha, dem dritten im Bund, ist ohne erkennbares sexuelles Begehren. Von den Unterhaltungen einer Gruppe von Jugendlichen können die Untertitel nur das Allernötigste vermitteln: es geht um eine Great Russian Culture, um den ruhmreichen Ural. Vadik schaut aus dem Fenster, und überlegt, ob es auf dem Mond regnet, seine Großmutter antwortet mit Verweisen auf die göttliche Macht und menschlichen Gehorsam. Die Kamera ist oft so weit weg, dass sie erst zoomen und scharf stellen muss, die Gestalten verschwinden gern einmal in der üppigen Natur, der Ton aber ist immer klar. Everything is just beginning, singt Kristina nach einem geläufigen Song. Bezaubernder, hinreißender Film! (Sheffield Docfest online)

Equatorial Constellations Silas Tiny Portugal 2020

Vorangestellt ist ein Zitat von Chinua Achebe über „das Rote“, wie (Marcus) Garvey es verstanden hat: „the blood that links all people of African ancestry“ wurde auch in den Pogromen und im Unabhängigkeitskrieg um Biafra vergossen. Ein Bild aus diesem Krieg ist im Weltmediengedächtnis eingeprägt: die „Biafrakinder“ mit den geschwollenen Bäuchen. Silas Tiny nähert sich den Erinnerungen an diesen gut 50 Jahre zurückliegenden Krieg mit Bildern eines verwitterenden Flugzeugs, um das darum jemand ein Haus gebaut hat, das auch eine Art Gedenkstätte ist (Genaueres wird nicht klar). Portugal war damals, als ein Militärgouverneur von Volk der Igbo Biafra für unabhängig erklärte, auf der Seite dieser Sezession, wie auch Frankreich, während die Zentralregierung Nigerias auf die Sowjetunion baute (und deren Flugzeuge). Es ging um Religion (die Igbo sind katholisch, Nigeria wird in diesem Gegensatz als muslimisch bezeichnet), und um Öl. Keiner dieser Aspekte wird von Silas Tiny vertieft. Portugiesische Akten über die Kinder, die nach Sao Tomé evakuiert werden, sind ein wichtiges Zeugnis, dazu werden Frauen befragt, die damals als Sanitäterinnen arbeiteten. Auch Piloten der Hilfsflugzeugen kommen zu Wort, sie berichten von den Bombardements, denen sie auf den Behelfspisten ausgesetzt waren. Den Titel Equatorial Constellations löst der Film nicht wirklich ein, auch eine durch Chinua Achebe angedeutete panafrikanische Perspektive auf diesen Krieg bleibt unklar. (Sheffield Docfest online)

Frankfurt Kaiserstraße Roger Fritz BRD 1981

Roger Fritz, der mit Fassbinder gearbeitet hat, aber auch maßgeblich an der Sexfilmwelle beteiligt war (Erotik auf der Schulbank 2), schickt zwei junge Leute aus der Provinz in die Welt der Kaiserstraße, also in das Bahnhofsviertel in Frankfurt am Main. Susanne und Rolf, ein perfektes Paar wie aus der Bravo. Er muss für 15 Monate zum Bund, sie will nicht länger die Vorschriften ihres spießigen Vaters beachten, und hofft auf ihren Onkel Ossi in der Stadt. Der ist schwul, und hegt mütterliche Gefühle für sie. Zudem ist sein Blumenladen bestens in die Halbwelt integriert, die Susanne nun betritt. Ein „Wiener Johnny“ (Hanno Pöschl auf dem Höhepunkt seiner Strizzi-Strahlkraft) lenkt die Geschäfte in der Gegend, in der ersten Szene wird auf den Italiener Aldo ein Bombenanschlag mit einer manipulierten Billardkugel verübt. Rolf trifft auf eine kesse Wirtin, die ihn mit dem Motorrad auf eine Nacht aus der Kaserne entführt, und sich für das Liebesspiel den Federschmuck eines Indianerhäuptlings überstreift – ein überschießendes Detail, das fast schon wieder einen der Zwecke des Films widerruft, nämlich nackte Haut zu zeigen. Die Erzählung zielt milieusoziologisch auf Vollständigkeit: Zuhälter, Prostituierte, in Hinterzimmern spielen reiche Leute illegal um Riesensummen, ein unbedarfter Junge namens Benny findet auch ein Mädchen, die Schwulen treffen auf Stricher aus Tunesien. Am Ende zeigt sich, dass der Mikrokosmos von außen gesteuert wird. Die Frankfurter Elite zieht in der Kaiserstraße die Fäden, und Johnny hat sich überschätzt. Susanne, mit der er große Pläne hatte, geht beinahe unbeschadet aus der ganzen Sache hervor. Sie und Rolf haben einander jeweils eine Nacht betrogen (und eine Nacht eine Erfahrung gemacht), darüber kommt man hinweg. Fritz erzählt das mit einem detailreichen Interesse an einer Vielzahl von Figuren, aber ohne das geringste Formbewusstsein einfach so dahin. (Diagonale)

Canale Grande Friederike Pezold Österreich 1983

Eine Frau hat genug vom Fernsehen. Sie begibt sich auf die Suche nach Video-Equipment, und versucht dabei (in einer sehr komischen Szene), sich eine Überwachungskamera aus einer Bank „auszuborgen“: Wenn Sie mir schon keinen Kredit geben, geben Sie mir wenigstens über das Wochenende die Kamera. Auch auf der Straße versucht sie, eine Kamera abzumontieren. Ihr schwebt eine individuelle Medienpraxis vor: Nahsehen statt Fernsehen. Sie malt zuerst das Fenster und dann auch den Bildschirm ihres Fernsehers schwarz zu, und ist nun in ihrer Wohnung bereit für eine Abkapselung von der „Medienscheiße“. Mit ihrem Radio Freies Utopia sucht sie auch ein utopisches Publikum, Menschen, die bereit sind, sich zu ihren Bedingungen unterhalten oder informieren zu lassen. Das RFU beruht vor allem auf einer billigen Studioästhetik: Capri findet in der Badewanne statt. Ein Mann bekommt ein Kind („Kinder sollten sich ihre Bäuche aussuchen können“), die Aufnahmen von der Geburt sind ein erster Höhepunkt von RFU. Pezold arbeitet auch mit Found Footage, ein Mann mit bayerischem Akzent erzählt eine Familiengeschichte zu alten Home Movies. Als sie nach Berlin geht, ist sie schon ihre eigene Installation: eine Frau, die Aufzeichnungen (Kamera) und Ausstrahlung (Schirm) auf einen Körper geschnallt trägt und so als Live-Broadcasterin durch die Straßen geht. Das Experiment endet mit einer Radikalisierung der Autonomie, die sich von Beginn an absehen ließ: in Ermangelung eines Publikums, das sie vielleicht auch ganz konsequent hinter sich lässt, sitzt Pezold schließlich in einer Schneelandschaft und sendet für die Berge. (Diagonale)

Fake Soldiers Idrissou Mora-Kpai Deutschland 1999

Ein Abschlussfilm der HFF aus dem Jahr 1999. Im Mittelpunkt steht Tamu, ein junger Schwarzer in Berlin, der sich von seinem Freund Obi dazu überreden lässt, sich als GI auszugeben, weil das bei den Frauen die bessere Story macht: Los Angeles schlägt Afrika. Tatsächlich gewinnt Tamu die Zuneigung der blonden Stella, die seine Legende ernst nimmt, und ihn vor einem Einsatz bewahren möchte: „ich könnte dich bei mir verstecken als Afrikaner“. Diese Dialogzeile ist der Höhepunkt des ganzen Films, der um die Großbegriffe Afrikaner/Amerikaner kreist. Die afroamerikanische Kultur (Basketball, Breakdance, Sneakers) gibt der Figur von Tamu, der ohne Backstory bleibt, der aber wohl (wie der Regisseur) eine Migrationsgeschichte aus Afrika nach Deutschland hat, einen anderen Kontext, lässt ihn attraktiver werden. Mit einer neuen Frisur („my little brother needs a haircut“) wird er zum „homie“, Obi hat dann auch noch einen Straßenkreuzer, mit dem er Eindruck schinden kann wie ein Gangsta Rapper. Bei Stella (alle Figuren bleiben Skizzen) klingt die friedensbewegte deutsche Jugend durch, die in einem GI einen potentiellen Wehrdienstverweigerer sehen möchte. Obi konstatiert schließlich eine Veränderung der Attraktionskonjunkturen: „die Aminummer zieht nicht mehr“. Er macht nun auf Rastaman Vibration. (Berlinale Forum Reihe Fiktionsbescheinigung)

Adolf und Marlene Ulli Lommel BRD 1976

Kurt Raab spielt Adolf Hitler ohne Signaturbart, sondern allein mit Seitenscheitel und dem bekannten gepressten Tonfall. Der Führer, der nie so genannt wird, verfällt einer Nummer von Marlene Dietrich, die singt: Ich glaub ich hab noch nie geliebt (es singt und spielt: Margit Carstensen). Vier Mal kommt es bei Lommel zu einer Begegnung zwischen Hitler und der Dietrich. Die erste ist besonders komisch: in einem Operntheater, dessen Bühne leer ist, wird Hitlers unbeholfenes Gebrabbel durch Musik und Gesang (Rienzi aus der Konserve?) übertönt. Die zweite ist tragisch, denn Luminsky, der jüdische Manager von Dietrich, versucht seine Familie aus Deutschland auszulösen. Die dritte ist grotesk, denn sie findet anscheinend in Casablanca statt, wohin Hitler sich in einer Hessiade fliegen lässt. Die vierte ist besiegelnd, denn Hitler ist da schon tot, und die Dietrich fährt in einem finsteren Triumphzug in einem Jeep an ihm vorbei. Lommels B-Ästhetik nimmt sehr gut vorweg, was Schlingensief schließlich als kritische Methode perfektioniert hat, was Eichinger zu einem filmischen Nationalmonument aufblasen wollte, und was Syberberg in eine Echokammer verwandelte: das Interesse an dem „privaten“ Hitler als einer Bewältigungsform für das Unbegreifliche einer Subjektivität, aus der das ganze Dritte Reich samt „Endlösung“ gekommen sein soll. Die Überforderung kann quasi nur grotesk aufgelöst werden: Hitler, der Eva Braun sein „Flitscherl“ nennt, Hitler, der mit Fassbinder auf dem Obersalzberg den Andachtsjodler singt, Hitler, der Torten mampft. (Zeughauskino)

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